Amazon-Killer
Gefühlt bin ich sicher schon hundertmal daran vorbeigegangen. Beim Betrachten der liebevoll drapierten Auslagen fühlt man sich gleich um ein paar Jahrzehnte zurückversetzt. Da kommt nicht einmal YouTube, unsere digitale Müllhalde mit.
Der vorsichtige Blick ins Auslagenfenster bestätigte meine erfreulichsten Befürchtungen. Entweder hatte der Auslagendekorateur eine mehrjährige Haftstrafe abzusitzen oder der Laden diente als illegale China-Küche—würden jetzt Lebenserfahrene mutmaßen.
Von solch unreinen Gedanken muss ich mich jedoch auf das Schärfste distanzieren, ohne dabei den faszinierenden Blick von den angepriesenen Schuko Steckern abzuwenden. Ehrlich gesagt weiß ich auch gar nicht, ob das Geschäftslokal noch in Betrieb ist. Obwohl ich wie oben angedeutet schon öfters vorbeigegangen bin, war jedes Mal die Eingangstür während der üblichen Geschäftszeiten versperrt. Deshalb kann ich auch mit keinen Fotos vom Inneren aufwarten. Sorry.
Der naheliegende Schluss kann daher nur lauten, dass sie auch dort die Corona-Maßnahmen übererfüllen oder den Onlinehandel forcieren wollen. Keine Ahnung, ob es da überhaupt eine Webseite dazu gibt oder der Webmaster auch mit dem Auslagendekorateur eine Zelle teilt. Zumindest könnte diese Konstellation den so verheißungsvoll gepriesenen Kieselstein im Amazon-Schuh darstellen, welcher Besagtem nun die Umsätze verleidet.
Die mühsam aufrecht gehaltenen Widerstandsnester im Einzelhandel werden zwar meist vollmundig verbal verteidigt, während viele Verfechter dieser Haltung gleichzeitig ihre Amazon-Bestellungen fertig klicken. Manchmal steht auch ein digitaler Besuch ins Reich des Drachens an, wenn das Angebot passt. Und solange ein Steuermann sein Bier nicht absetzt und die 400 Meter Schüssel im Suezkanal querstellt, werden die Trümmer auch recht zeitnah eintreffen. Der Hauptgrund dafür ist meist bei einem lapidaren »ich bin ja nicht meines Geldes Feind« und irgendwas mit »bequemer, kein Anfahrtsweg und angelernte Verkäufer« zu verorten. Das ist auch nicht verwerflich, sondern zeigen nur die Umwälzungen sowohl im geschäftlichen als auch im gesellschaftlichen Kontext auf.
Viele Firmen haben ihre Arbeitsumgebungen mittlerweile in der Cloud laufen, wobei abends nach Feierabend alle Server gelöscht werden. Am nächsten Morgen werden Besagte dann per automatischer Neuinstallation wieder komplett frisch erzeugt »Irgendwas mit Geld oder so« war da als Hauptargument auszumachen, da somit die Kosten für den Nacht- und Wochenendbetrieb wegfallen. Und der technische Support mit dem verstümmelten Sprachgebrauch rechtfertigt so erst recht ein Stirnrunzeln beim Anfragenden, was dem Arbeitsklima nur zuträglich sein kann. Der einzige Lichtblick dabei sind die Lehrvideos auf YouTube von indisch geprägten Protagonisten. Immer wieder erheiternd, wenn deren Stimmen ein bisschen dumpfer werden, während sie vom Spickzettel das nächste Shell-Kommando ablesen. Die sparen auch schon bei den Headsets und knallen ihnen ein fixiertes Mikrofon vor das Gesicht. Und Sitzplätze haben sie auch immer zu wenige in ihren Zügen. Die haben es auch nicht leicht.
Das wird sich unser Amazon-Killer wahrscheinlich auch zu Herzen genommen haben und die Auslagen dementsprechend verwahrlosen lassen.
Wer sieht sich heutzutage auch Auslagen an? Das macht doch jemand nur so lange, bis die Frau mit dem Einkaufen fertig ist oder der Herdentrieb im Einkaufscenter einen daran unwillkürlich vorbeischleust. Somit kam ich zu dem Schluss, dass unser Amazon-Killer bisher alles richtig gemacht hat. Keine analogen Kunden bedeuten kein benötigtes Verkaufspersonal. Für die nächsten Lockdowns sei es jetzt energiemäßig oder epidemisch, beließ man das äußere Erscheinungsbild einfach beim Alten. Und der klimaneutrale Fußabdruck wird mit der dezenten Auslagenbeleuchtung weiterhin gewahrt. Ob das Amazons Geschäftspolitik beeinflusst, wird die Zukunft zeigen.
Fest steht einmal, dass wir nun Mitte Oktober haben und zur besinnlichen Zeit die Angebote für Affären da weiters nicht ausbleiben. Wer braucht schon Affären mit kaffeeschlürfenden Gucci-Tanten? Sind die schon alle kognitiv zu früh abgebogen? Irgendwie kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass alles den Bach runtergeht. Der eine stellt seinen Pott im Suezkanal quer, der andere braucht einen Spickzettel, um seine Shell-Kommandos in Englisch runter zu lesen und nicht ausgebeutete, jungfräuliche Erdbeerpflückerinnen schulen jetzt digital auf Nächstenliebe um.
Ich werde in den nächsten Tagen wieder mal beim Amazon-Killer vorbeischauen, ob sich was an der Auslagengestaltung geändert hat. Das macht meiner Meinung nach mehr Sinn, als sich mit den angeschnittenen Themen über Gebühr zu beschäftigen.
Schöne Weihnachten und das Übliche halt.
Man liest sich! Gruß Günter
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