Christian Zahler
Der geneigte Leser, die geschätzte Leserin von PCNEWS wird meinen Namen bisher ausschließlich unter seriösen Fachartikeln über Netzwerktechnik, Microsoft Office oder Windows-Betriebssystemversionen gelesen haben – Artikel, die versucht haben, verschiedene Themen auf sachliche Weise zu behandeln und komplizierte Gedankengänge einfach, aber nicht simpel darzustellen. Diese Artikelserie wird anders sein: Ich möchte mich mit einem der am meisten benutzten – vielleicht auch abgenutzten – Begriffe beschäftigen, die in den letzten Jahren den politischen Diskurs beherrscht haben und noch immer beherrschen. Dabei werde ich auch meine persönlichen Ansichten und Erfahrungen einbringen, die ich in bisher 30 Berufsjahren als IT-Kleinunternehmer und Lehrer gesammelt habe. Ach ja: Mein Chef hat mich gebeten, folgenden Hinweis nicht zu vergessen: Wer mich persönlich kennt, weiß, dass ich manchmal zu Sarkasmus neige. Das bringt die IT in Verbindung mit Lehrer-Sein so mit sich! (In einigen Fällen werde ich das durch *Sarkasmus* kennzeichnen.)
Eine kurze Anmerkung über meinen Erfahrungshorizont: Im Bildungswesen habe ich bisher in der Sekundarstufe 2 (hauptsächlich BHS-Bereich), in der Erwachsenenbildung (WIFI) und im tertiären Bereich (FH) unterrichtet. Bitte sehen Sie meine Ausführungen in diesem Zusammenhang; ich fühle mich nicht berufen, über die Altersgruppe 6 – 14 Jahre zu diskutieren, da ich bei dieser Gruppe nur Erfahrungen als Vater habe, und nicht als Lehrer bzw. Trainer.
Was ist Digitalisierung?
Der Begriff selbst kommt vom lateinischen Wort digitus (Finger) und wurde viele Jahrzehnte lang nur im Zusammenhang mit Signalen verwendet.
- Industrielle Revolution: Mechanisierung
- Elektrifizierung
- Automatisierung
- Informatisierung
Quelle: http://karlheinzland.com/technologie-fuer-unseren-planeten/
E-Learning
Haben Sie schon einmal einen E-Learning-Content durchgearbeitet? Ja? Dann möchte ich Sie bitten, ein kleines Quiz zu beantworten:
- Was haben Sie noch gleichzeitig gemacht, während Sie den Content bearbeitet haben?
□ Nichts, ich musste mich ja aufs Lernen konzentrieren.
□ Gar nichts, was denken Sie denn?
□ Überhaupt nichts, der Content hat meine ganze Aufmerksamkeit benötigt.
- Jetzt seien Sie ehrlich: Was haben Sie wirklich gemacht, während Sie sich mit dem E-Learning-Content beschäftigen hätten sollen?
□ Na ja, die Fenster waren schmutzig.
□ Die drei WhatsApp-Nachrichten musste ich aber dringend beantworten, aber sonst habe mich konzentriert. Wirklich!
□ Hm, wenn ich mich recht erinnere: Meine Mutter hat angerufen und wollte die Nummer vom Bäcker wissen – und dann habe ich noch schnell meine Tochter in die Musikstunde gebracht; nachher das verbrannte Gulasch vom Herd genommen – sonst war eigentlich nichts, oder?
Nun wird immer wieder propagiert, dass sich Schüler Inhalte selbst beibringen sollen, indem sie E-Learning-Contents bearbeiten. Das Konzept des „Flipped Classroom“ oder „Reverted Classroom“ sieht vor, dass die Erarbeitung von neuem Wissen zu Hause erfolgen soll, Unklarheiten werden dann in der Schule besprochen, auch Übungen sollen in der Schule gemacht werden.
Selbstverständlich gibt es jede Menge Youtube-Videos, die bestimmte Themen verständlich und interessant zusammenfassen. Einen Vorreiter dieser Art von Wissensvermittlung stellt die sogenannte Khan Academy
https://www.khanacademy.org dar, eine gemeinnützige Organisation, die von Salman Khan (*1976 in New Orleans) gegründet wurde und deren englischsprachige Version über 4000 Lehrfilme aus den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften, Geschichte und Wirtschaft enthält. Die Seite ist nun auch auf Deutsch (https://de.khanacademy.org) verfügbar.
Allerdings gebe ich zu bedenken, dass für das selbstständige Durcharbeiten von Content (dazu gehört auch das Ansehen von Lernvideos) sehr viel Disziplin notwendig ist! Viel mehr Disziplin übrigens, als einer Lehrperson zuzuhören, die aktiv diskutiert, persönlich mit Schülerinnen und Schülern interagiert (zumindest in der Form „Gib das Handy weg!“) und versucht, mit allen Mitteln ein schwieriges Thema in die Köpfe hineinzubringen. Haben Sie Schüler, die ein so großes Maß an Konzentration aufbringen können? Ich muss Ihnen sagen, meine Schülerinnen und Schüler haben bereits Mühe, sich 50 Minuten zu konzentrieren! Und in Elterngesprächen bzw. in meiner eigenen Elternrolle sehe ich jeden Tag, wie viel Ablenkung Computerspiele, Smartphone oder Konsolen darstellen.
Oftmals sind in E-Learning-Strecken „Quizzes“ eingebaut, also Fragestellungen, die überprüfen sollen, ob bzw. inwieweit man den Inhalt eines Abschnitts der Lernstrecke aufgenommen hat. Viele dieser Fragestellungen sind Single-Choice- oder Multiple-Choice-Aufgaben, bei denen Antwortmöglichkeiten vorgegeben werden, von denen eine bzw. mehrere richtig sind. Meiner persönlichen Einschätzung nach taugen diese Aufgaben nur sehr bedingt zur Lernkontrolle:
- Viele dieser Fragestellungen prüfen Faktenwissen ab, von dem es immer heißt, dass es an Bedeutung verliert.
- Ich selbst habe solche Abschlusstests beim ersten Versuch oft irgendwie beantwortet, da die falschen Antworten erläutert wurden und manchmal sogar die richtige Antwort von der Plattform als Feedback ausgegeben wurde. Diese Informationen habe ich auf Papier aufgeschrieben – beim 2. Versuch erreichte ich meist 100 % (obwohl die Reihenfolge der Fragen vertauscht war bzw. – besonders fies *Sarkasmus* – die Reihenfolge der Antworten vertauscht war).
- Ich weiß nicht, ob es Leute in der Leserschaft gibt, die Microsoft-MCP-Prüfungen absolviert haben. Diese Multiple-Choice-Prüfungen waren oft wirklich schwierig, da komplexe Probleme mit mehreren Antwortmöglichkeiten kombiniert waren, die sehr ähnlich waren. Für diese Prüfungen gab es Vorbereitungsmaterial, welches oft Fragen enthielt, die den echten Prüfungsfragen verblüffend ähnlich waren („Braindumps“). Wenn man sich nun „zeitökonomisch“ für solche Examen vorbereiten will, könnte man auf folgende Idee kommen: Kommt in der Fragestellung das Wort „Regenschirm“ vor, so ist die Antwortmöglichkeit richtig, die den Begriff „Gartenhaus“ enthält.
Tablets und Tablet-Klassen
Ein Thema, welches immer wieder aufpoppt, ist die Einrichtung von Tablet-Klassen zur Förderung der Digitalisierung. Hier geht es um mehrere Problematiken:
- Soll der Staat Tablets für alle Schülerinnen und Schüler bereitstellen?
- Was wird eigentlich mit diesen Computern im Unterricht gemacht?
- Welchen Mehrwert bringt ein Unterricht mit Notebooks im Vergleich zu einem Unterricht ohne Notebooks?
- Kann man „analogen Unterricht“ mit PCs/Smartphones/Notebooks machen?
- Kann man „digitalen Unterricht“ ohne PCs/Smartphones/Notebooks machen?
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Anschaffung von Tablets nichts mit Digitalisierung zu tun hat; das ist ein Missverständnis.
„Analoger Unterricht“ mit PCs/Smartphones/Notebooks
Im Francisco Josephinum Wieselburg, wo ich technische Gegenstände wie Elektrotechnik, Mechanik und Fertigungstechnik, aber auch Mathematik unterrichte, verwenden wir sehr gerne Microsoft OneNote. OneNote dient als „elektronische Tafel“, auf der man zeichnen, schreiben und rechnen kann, aber auch Links auf Videos, Textbausteine und Fotos lassen sich in OneNote-Abschnitte einbinden. Schade, dass Microsoft überlegt, dieses vielseitige und zukunftsweisende Tool nicht weiterzuentwickeln. (Im Paket Office 2019 ist nach wie vor OneNote 2016 enthalten.)
Die folgende Abbildung stellt ein Tafelbild einer Mathematik-Stunde im I. Jahrgang der Abteilung Landwirtschaft dar. (Sie möchten wissen, warum rechts oben ein Kopf mit Krone dargestellt ist? Tja – das ist wieder ein kleiner Seitenhieb über die Freuden der neuen Orthograph(f)ie: Ich stolpere noch immer mit den Augen über die Anweisung, man möge den Grafen zeichnen… den von Luxemburg? ich schreib‘ trotzdem Graph!)
Digitalisierungsinitiativen der Bundesregierung
Die Bundesregierung stellte 2018 eine Initiative „Digital Austria“ vor. Innerhalb dieser Initiative wurde die Digitalisierungsagentur (DIA) innerhalb der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft gegründet. Diese Agentur hat für KMU ein Maßnahmenpaket nach dem Vorbild internationaler Best Practices entwickelt.
Österreichs Wirtschaft ist im internationalen Vergleich bei der Digitalisierung noch im Rückstand und west – gemessen am Pro-Kopf-Einkommen – derzeit (2019) unterdurchschnittliche Werte auf. Laut Umfragen steht die überwiegende Mehrheit der Unternehmen der Digitalisierung positiv gegenüber; es zeigt sich aber bei Unternehmer aller Größenordnungen ein Know-How-Mangel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, der Digitalisierungsprojekte letztlich scheitern lässt.
Im März 2019 startete ein „Digitalisierungs-Selbst-Check“ auf der Webplattform www.digitalaustria.gv.at/kmu.
Studium an der TU Wien (Chemie, Physik, Mathematik, Informatik), selbstständige Tätigkeit (IT & Consulting) mit Spezialisierung auf Schulungskonzepte in der Erwachsenenbildung, derzeit Unterrichtstätigkeit am Francisco Josephinum Wieselburg (Landtechnik-Abteilung, technische und naturwissenschaftliche Fächer, Schwerpunkte Elektro- und Automatisierungstechnik und Mechanik), seit unendlich langer Zeit dem ClubComputer freundschaftlich verbunden, Autor von Artikeln in PCNEWS.
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