Christian Schrack, Christian Dorninger, September 2019
Der Artikel „Digitalisierung im Bildungswesen“ im letzten PCNEWS greift wichtige Fragen rund um die Digitalisierung auf und lädt zur Diskussion über die Rolle von E-Learning und Industrie 4.0 im modernen Bildungswesen ein (Zahler 2019). Österreich verfügt über eine gut vernetzte eLearning Community – allein eEducation verfügt über rund 2.500 Standorte quer durch alle Bildungsstufen. Seit 2002 findet in dieser Community (vormals eLearning Cluster und eLSA) ein reger Austausch zu allen pädagogischen und organisatorischen Fragen rund um das E-Learning statt, der sich vor allem auch an Neueinsteigende richtet: Erprobte Beispiele für den Unterricht, geeigneter E-Content – aber auch: Auf was muss ich achten? Wie vermeide ich Ablenkung? Wie funktioniert IT-gestützte Teamarbeit? Welchen „Mehrwert“ kann ich erwarten, wenn ich Notebooks im Unterricht einsetze?
Digitalisierung in der Schule verlangt eine nähere Betrachtung: Im Teil I wollen wir näher auf die unterschiedlichen Ebenen der Digitalisierung, auf das E-Learning und die Umsetzung am Schulstandort eingehen. Der Teil II soll die Diskussion auf aktuelle Herausforderungen der Berufsbildung wie Industrie 4.0 lenken.
Teil I: Digitalisierung am Schulstandort
Digitalisierung und Industrie 4.0 sind semantische Platzhalter für eine Vielzahl von wünschenswerten und gewünschten Szenarien in Wirtschaft und Gesellschaft. Im immer kürzeren Takt werden diese Szenarien im Wechselspiel von Forschung und Wirtschaft mit entsprechenden Innovationen belebt. Die damit verbundenen Auswirkungen nehmen vor allem auch das Bildungswesen in Verantwortung. Für die weitere Betrachtung schlagen wir vor, die Digitalisierung an berufsbildenden Schulen an vier mit einander verbundenen Ebenen festzumachen (Schrack 2019).
A. Auf welchen Ebenen lässt sich Digitalisierung an berufsbildenden Schulen betreiben?
1. Unterrichtsorganisation:
Einsatz von IT als „Werkzeug“ in der Schulverwaltung und der
Unterrichtsorganisation mit Fokus Verwaltung von Lehrpersonen, Bereitstellung
von Unterrichtsressourcen wie Beschaffungswesen, Stunden- und Raumpläne, Erstellung
von Zeugnissen und Bescheiden.
2. E-Learning:
Einsatz von IT im Unterricht als „Werkzeug“, das individuelle und
soziale Lernprozesse in fast allen Unterrichtsgegenständen in Form von E-Learning bzw. Blended Learning unterstützt.
Dazu gehört die Anwendung von Lernplattformen die unterrichtsbegleitend zum
Einsatz kommen sowie die Einrichtung von Notebook- bzw. Tablet-Klassen.
3. Informatik als Gegenstand:
IT als „Inhalt“ im Gegenstand Informatik an allen berufsbildenden
Schulen mit mindestens zwei Stunden pro Unterrichtswoche – weiters als
„Inhalt“ in allen schwerpunktmäßigen IT-Ausbildungen bis zu
zwanzig Stunden pro Woche.
4. Berufsspezifischer IT-Einsatz:
Einsatz von IT als „Werkzeug“ und „Inhalt“ in vielen
fachtheoretischen und fachpraktischen Gegenständen berufsbildender Schulen,
z.B. Mechatronik, Digital Business, Mediendesign, Landtechnik.
B. Wie kommt die digitale Innovation ins (Schul-)System?
Während die Digitalisierung in der Ebene 1 Schulverwaltung im größeren Rahmen vorgegeben ist, lassen die Punkte 2 bis 4 schulstandortspezifische Schwerpunktsetzungen im Rahmen der Schulautonomie zu.
Dabei stellt sich die Frage wie diese ins Auge gefassten digitalen Innovation im Standort zur Umsetzung kommen. Zunächst ist wichtig festzuhalten, dass die Digitalisierung – egal in welchem Bereich – keine genuin technische Aufgabe ist.1 Hier laufen technische und soziale Innovationen ineinander. Umso wichtiger ist es der erwarteten „digitalen Dividende“ ein gehöriges Maß an „gesunder Skepsis“ entgegen zu setzen. Erklärungsmodelle für Innovationen im Schulbereich lassen sich Holtappels (2013) an zwei Paradigmen festmachen:
1. Das gleichgewichtsorientierte Paradigma, das darauf abzielt nach äußeren Irritationen die Balance wiederherzustellen – wie die Reaktion der Schule auf einen sich änderten Arbeitsmarkt oder zurückgehende Schülerzahlen (äußere Druckkräfte).
2. Das konfliktorientierte Paradigma, das bei pädagogischen und organisatorischen Zielkonflikten konstruktive Lösung herbeiführen will, die Antinomien der Pädagogik mit sich bringen wie „Fördern versus Auslese“ oder „Erziehung zur Selbstständigkeit“ (innere Zugkräfte).
Optimal ist, wenn bei einer gewünschten Innovation beides zutrifft und die äußeren Druckkräfte den schulinternen Zugkräften einer engagierten Schulgemeinschaft gegenüberstehen. Für den Ablauf von Innovationen im Schulwesen schlägt Giaquinta 1973 ein Phasenmodell vor, das mit der Initiation beginnt (Problemanalyse, Erkundung der Motivation), dann in die Implementation übergeht (Erprobung, Anwendung) und schließlich in der Phase der Institutionalisierung mündet (Alltagspraxis, Routine). Es wurde auch beobachtet, dass die Phasen an Schulen hintereinander aber auch versetzt oder gleichzeitig ablaufen können (zit. nach Holtappels 2013).
C. Was können Lernplattformen und Notebookklassen für das Lernen leisten?
In der Ebene 2, E-Learning steht der Einsatz der IT als „Werkzeug des Lernens“ im Mittelpunkt. Lernplattformen dienen dabei nicht nur der E-Contentpräsentation, sondern begleiten und dokumentieren „beiläufig“ den Unterricht. Besonders offene Lernphasen in Teams und im Klassenverband profitieren von diesem Werkzeug: Gerade beim sozialen Lernen, bei Projekten und bei Fallstudien können Plattformen helfen Abläufe zu strukturieren, den Austausch zwischen den Teams – auch über den Unterricht hinaus – zu fördern sowie zur Ergebnissicherung beitragen. Ähnliche Zwecke lassen sich auch „Social Media“ Werkzeuge erfüllen, die bei Lehrenden und Lernenden manchmal den Vorzug genießen. Weitere pädagogische Möglichkeiten eröffnen sich durch Lernplattformen im Rahmen eines betreuten bzw. unbetreuten Selbststudiums: Im Informatikunterricht könnten beispielsweise Lektionen der Cisco Academy von den Lernenden im Selbststudium erarbeitet werden, um die erworbenen Kompetenzen dann im Unterricht im Netzwerklabor zu festigen, besser bekannt als „Flipped Classroom“.
Im Hinblick auf den späteren Beruf liegt es auf der Hand den Lernenden bereits im Unterricht Übungsphasen am digitalen Endgerät – entweder in Form eines IT-Saals oder als Notebookklasse – zu ermöglichen.
Damit besteht nicht nur Zugang zur Lernplattform und zum Internet sondern auch zu Office-Anwendungen und entsprechender berufsspezifischer Software. Der Unterricht in Notebookklassen ist für die Lehrenden eine Herausforderung, vor allem wenn der Gegenstand viele lehrerzentrierte Inputphasen verlangt. Da könnte das Notebook auch zugeklappt sein. In allen anderen Sozialformen mit Aufgabenstellungen in eigenverantwortlicher Zeitgestaltung spielen Ablenkungen eine geringere Rolle und das „digitale Lernwerkzeug“ kann seinen vollen Nutzen entfalten.
Die Begleitung des Präsenzunterrichts durch eine Lernplattform im Sinn des Blended Learning (oder hybrides Lernen) eröffnet eine Reihe pädagogischer und didaktischer Möglichkeiten – unter entsprechenden Voraussetzungen können Team und Klassen zur virtuell unterstützen „Learning Community“ werden. Optimal ist es, wenn den Lernenden auch ein persönliches Lernwerkzeug zu Verfügung steht.2
D. Wie kann der Standort eine moderne E-Learning Schule werden?
Dabei lohnt der Blick zurück, als im Jahr 1998 in Österreich nach deutschem Vorbild Notebookklassen eingeführt wurden. Eines dieser Projekte an einer Wiener Tourismusschule wurde von Prof. Peter Baumgartner3 wissenschaftlich begleitet, um generelle Aussagen über E-Learning an Schulen abzuleiten:
1. Durch entsprechendes Projektmanagement kann es einer Handvoll Lehrpersonen gelingen, den gesamten Lehrkörper, die Eltern und die Lernenden (die waren bereits überzeugt!) für diese neue Lernform zu begeistern. Die Grundidee sollte gut und schlüssig sein und auf Involvement und Selbstorganisation setzen.
2. Der Ansatz an der Tourismusschule war, nicht unmittelbar auf den Unterricht Einfluss nehmen zu wollen, sondern den Lehrpersonen aller Fächer in Weiterbildungen digitale Kompetenzen zu Office-Anwendungen, Internet und Lernplattformen zu vermitteln.
3. Aufgrund der Kenntnisse taten sich für die Lehrpersonen nach und nach neue E-Learning Variationen auf, die in der Fachgruppe diskutiert wurden. Kollegiale Hospitationen unterstützten dabei.
Seither sind rund 20 Jahre vergangen. Die digitalen Kompetenzen der Lehrenden sind weit fortgeschritten und für viele Gegenstände E-Content. Trotzdem legen arrivierte E-Learning Schulen die Umsetzung nicht nur in die Hand einzelner, engagierter Lehrpersonen, sondern machen die Digitalisierung des Unterrichts zur strategischen pädagogischen Leitlinie für den gesamten Schulstandort. Die Umsetzung in der Schulgemeinschaft könnte sich dabei am eingangs beschriebene Phasenmodell von Giaquinta orientieren.
Soviel zur Digitalisierung der Unterrichtsorganisation (Ebene 1) und dem E-Learning (Ebene 2). Im Teil II wollen wir näher auf die Digitalisierung in Form des Informatikunterrichts (Ebene 3) und des Fachunterrichts eingehen (Ebene 4) vor allem im Hinblick aktuelle Themenstellungen der Industrie 4.0 und Künstliche Intelligenz – Stichwort „Industrie 4.0 braucht eine Berufsbildung 4.0?“.
Literatur
Holtappels (2013): Innovation in Schulen, Theorieansätze und Forschungsbefunde zur Schulentwicklung; in: Innovationen im Bildungswesen; Springer, Wiesbaden
Schrack (2019): Digitalisierung und Industrie 4.0 in der österreichischen Berufsbildung; in: Schulverwaltung aktuell; Wolters Kluwer, Köln
Zahler (2019): Digitalisierung im Bildungswesen; PCNEWS Juli 2019
Endnoten
1 Der Weg des eLearning in den Klassenraum hat sich wie die Diffusion vieler Errungenschaften in Technik und Gesellschaft entwickelt. Auch die ersten Automobile vor rund 130 Jahren waren ein identes Abbild ihres Vorläufers, der Kutschen – nur das Pferd vorne war durch den Motor hinten ersetzt. Wer sich noch an Blackboard oder andere Lernplattformen der ersten Stunde um das Jahr 2001 erinnert, auch diese waren aus Tafeln aufgebaut und dienten ausschließlich der E-Content Präsentation. Dass hier mehr geboten werden muss, als einfach der analogen Wirklichkeit ein digitales Pendant zur Seite zu stellen, war der wachsenden Anhängerschaft im Schulwesen (eLearning Cluster und ELSA) bald klar.
2 Neben dem Modell der Notebookklassen mit annähernd baugleichen Geräten haben sich in der allgemeinen und berufsbildenden Oberstufe auch BYOD Modelle („Bring your own device“) durchgesetzt.
3 Peter Baumgartner hatte ab 1998 den Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik an der Universität Innsbruck inne. Seit 2006 leitet es das Department für Weiterbildungsforschung und Bildungstechnologien an der Donauuniversität Krems. Neben vielen Publikationen im Bereich E-Learning geht die „Taxanomie der Unterrichtsmethoden“ auf ihn zurück.
Franz war pensionierter HTL Lehrer (TGM), Präsident von ClubComputer, Herausgeber der Clubzeitung PCNEWS und betreute unser Clubtelefon und Internet Support. Er war leidenschaftlicher Rapid Wien Fan. Er ist leider Anfang Jänner 2024 nach langer schwerer Krankheit verstorben.
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