Nach einem Vortrag von Dr. Florian Aigner am 3.3.2020 bei ClubComputer.
Wir leben in einer Welt voller Ängste vor Dingen, die es gar nicht gibt und wenn es sie gibt, dann nicht in der postulierten Gefährlichkeit. Unsere Welt ist durchaus rational, erfüllt mit Wissen aber auch gleichzeitig erfüllt mit viel Blödsinn.
Bauchgefühl kontra Wissenschaft
Ein Bauchgefühl hat jeder, und das ist auch sehr wichtig, denn es ist eine Fähigkeit, mit der uns die Evolution ausgestattet hat und die uns erlaubt, rasche Entscheidungen zu treffen, auch dann, wenn man zur Fragestellung nur sehr wenige Informationen hat.
Welche Stadt hat mehr Einwohner, Miami oder Tampa?
Europäer tippen mehrheitliche auf „Miami“, weil diese Stadt hier sehr bekannt ist – und die Antwort stimmt auch. Stellt man aber dieselbe Frage in den USA, bekommt sind die Menschen keineswegs so sicher, nicht weil sie weniger Informationen haben, sondern im Gegenteil, weil sie mehr über diese Städte wissen. Amerikaner kennen beide Städte und wissen, dass Tampa eine durchaus vergleichbare Größe zu Miami hat.
Noch weniger hilft uns das Bauchgefühl bei der Frage, ob San Francisco oder Shijazhuang größer ist. Wir sind überrascht, dass das weltberühmte San Francisco relativ klein ist.
Auf eine kollektive und tragische Fehleinschätzung durch das „Sich-auf-das-Bauchgefühl-Verlassen“ hereingefallen sind jene, die nach dem Terroranschlag 9/11 vom Flugzeug auf das Auto umgestiegen sind. Es konnte statistisch nachgewiesen werden, dass durch die Zunahme des Straßenverkehrs mehr zusätzliche Verkehrstote zu beklagen waren als bei den Terroranschlägen selbst.
Menschen haben die Möglichkeit, klüger zu werden als es ihr Bauchgefühl erlaubt; durch wissenschaftliche Herangehensweise, durch das Sammeln von Fakten, vergleichen, wiederholen. Wir gewinnen durch Wissenschaft Erkenntnisse, allerdings nicht in einer alltagstauglichen Art, denn im Alltag muss man hier und jetzt entscheiden und hat keine Zeit, um eine passende Studie abzuwarten.
Verlässliche Aussagen
Persönliche Wahrnehmungen sind keine ausreichenden Erkenntnisse, was wirklich verlässlich ist, sind Mathematik und Logik.
Ausgangspunkt sind in der Mathematik immer Axiome, das sind Grundsätze, die nicht weiter begründbar sind. Sehr bekannt sind die Axiome der Euklidschen Geometrie, zum Beispiel „ein Punkt ist etwas, das keine Teile hat“ oder „eine Linie ist eine breitenlose Länge“ usw. Von diesen Axiomen kann man durch logische Beweisführung weitere Aussagen und Beweise ableiten.
Mathematische Beweise sind solche für die Ewigkeit. Zum Beispiel sagt der Satz von Euklid, dass es unendlich viele Primzahlen gibt. Auf diesen Satz werden sich die Menschen auch noch im Jahr 2525 verlassen können.
David Hilbert hat postuliert, dass man die gesamte Mathematik auf einfache Grundtatsachen zurückführen kann, ganz ähnlich den Axiomen des Euklid und dass man dann eben alles werde beweisen können. Wie wir aus der Wissenschaftsgeschichte wissen, ist dieser Wunsch am Unvollständigkeitssatz von Kurt Gödel gescheitert, der besagt, dass es in einem (ausreichend komplexen) aber widerspruchsfreien System immer unbeweisbare Aussagen gibt.
Mathematik kontra Naturwissenschaft
Der Wiener Kreis versuchte mathematische Präzision auch in anderen Wissenschaften einzuführen und man hat bald gesehen, dass das dort nicht genau so funktioniert. Man hat es in der Naturwissenschaft mit Beobachtungen und Messergebnissen zu tun, und alle diese Experimente sind fehlerbehaftet.
So wie das Vollständigketisstreben in der Mathematik schien auch die Beweisführung der Naturwissenschaften zu scheitern.
Karl Popper erkannte, dass (Natur)Wissenschaft – anders als die Mathematik – eigentlich nichts beweisen kann, sondern ihre Aussagen eben so lange gelten als sie nicht widerlegt sind. Eine wichtige Voraussetzung ist, dass man nur solche Aussagen zulässt, die an einem Experiment widerlegt werden können. Naturwissenschaft beweist also nichts, sondern hält nur solange an einer Behauptung fest, bis das Gegenteil bewiesen ist.
Allerdings setzt diese Falsifizierbarkeit voraus, dass man sich als Wissenschaftler diesen Spielregeln unterwirft.
Pseudowissenschaften sind solche, die in Publikationen formale Regeln wissenschaftlicher Arbeiten anwenden aber innerlich mit Dogmen erfüllt sind und Kritik als Fälschung oder Propaganda abweisen.
Aus der Entwicklung wissenschaftlicher Aussagen wie zum Beispiel von der euklidischen Geometrie zur sphärischen Geometrie oder von Newtons Gravitationstheorie zu Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie sieht man, dass die jeweils ältere Theorie in den allermeisten Fällen weiter verwendet werden kann und die neuere eben eine Erweiterung darstellt.
Experimente mit Wünschelrutengängern
Es gibt aber auch pseudowissenschaftlich arbeitende Personen, die sich wissenschaftlichen Experimenten, also einer Falsifikation, stellen. Die GWUP (Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften) vereinbart experimentelle Anordnungen, die von den Probanden akzeptiert werden. Dabei muss der Proband zum Beispiel herausfinden, in welcher von 10 Schachteln ein Gegenstand versteckt ist. Die Trefferquote der Wünschelrutengänger ist aber bei diesen Versuchen nicht höher als die erwartbaren Zufallstreffer.
Übersinnliche Behauptungen können also mit wissenschaftlichen Experimenten widerlegt werden.
Wissenschaft als Friedhof der widerlegten Theorien?
Wissenschaftliches Arbeiten erfordert die Bereitschaft zur Akzeptanz von Veränderungen als etwas Positives.
Esoterische Aussagen sind dagegen statisch und oft seit Jahrtausenden unverändert (Tierkreiszeichen). Hahnemanns einmal aufgestellten Regeln des Verschüttelns blieben seit ihrer Erfindung unverändert.
Ist Wissenschaft auch nur eine Religion?
Wissenschaft ist nicht dogmatisch und muss für Veränderungen offen sein. Wissenschaft will etwas aufbauen, auf das man sich verlassen kann.
[Wenn man der Wissenschaft Religiöses andichten will, dann vielleicht den Umstand, dass nicht die Aussagen der Wissenschaft religiös dogmatisch sind, denn sie unterliegen dem Wandel des Erkenntnisgewinns, sondern ihre Methodik des Ausscheidens als falsch erkannter Theorien.]
Es kann sein, dass man immer bessere Modelle bekommt. Berühmtestes Beispiel: Newton konnte Planetenbahnen vorausberechnen und man dachte, dass diese Ergebnisse für alle Zeiten gelten würden. Doch Albert Einstein hat die Berechnungen Newtons durch die Allgemeine Relativitätstheorie „relativiert“, weil er die Gravitation nicht als Kraft definiert, sondern als eine Raum-Zeit-Krümmung. Aber Newtons Berechnungen sind deshalb nicht völlig unbrauchbar. Denn bei der Apollo-Mission hat man die Newton-Gleichungen verwendet, weil sie einfacher sind und für diese Anwendung völlig ausreichend waren.
Das Geozentrisches Weltbild ist längst widerlegt, genügt aber völlig für das Verständnis einer Sonnenuhr. Ebenso ist die Theorie der Flacherde in kleinen Dimensionen, also zum Beispiel für die Orientierung in einer Stadt völlig ausreichend.
Man sucht in der Wissenschaft nicht nach der absoluten Wahrheit, sondern nach Theorien, die für die jeweilige Anwendung nützlich ist.
Wissenschaft als Werkzeug
Wissenschaft als Struktur. Wie passt eine konkrete Erkenntnis zu den bestehenden Wissen. In der Esoterik gibt es unzusammenhängende Glaubensinhalte.
In der Wissenschaft hängt alles zusammen. Sie bildet ein Netz von Theorien, die einander bedingen. Auch wenn sich etwas als falsch herausstellt, bricht das Gebäude der Wissenschaften deshalb nicht zusammen.
Auch wenn eine Untersuchung ergibt, dass es eine Krankheitshäufung durch Funkwellen gibt, muss man dieses Ergebnis in das bestehende Wissen einbetten. Man muss bei allen fremdfinanzierten Studien die Interessenslage mitdenken.
Staatlich finanzierte Universitäten haben eine größere Unabhängigkeit. Aber der Standpunkt, dass alle Studien gekauft seien, ist auch nicht richtig.
Wissenschaft ist nichts, was jemand alleine macht. Er ist immer eingebettet in ein Netzwerk. Es ist ein Art kollektives Wissen, das von einem Einzelnen nicht verarbeitet werden kann. Das Heben von Intelligenz auf eine höhere Ebene. Wir arbeiten kollektiv an Erkenntnissen, die in ihrer Summe größer sind als
Wo Wissenschaft nicht gilt
Es gibt Bereiche, für die Wissenschaft nicht zuständig ist, also etwa bei Fußballspielen*) oder bei Familienfesten.
Wissenschaft und Demokratie
Welche Argumente akzeptieren wir für eine Entscheidungsfindung? Wissenschaftlich belegbare Ergebnisse sind eine gute Grundlage für kollektive demokratische Entscheidungsprozesse.
[Ist es nicht bemerkenswert, dass Versuche zum Aushebeln demokratischer Strukturen einher gehen mit der Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse? Ist es nicht bemerkenswert, dass Demokratie so wie die Wissenschaft sich der Falsifizierbarkeit als Methode zur Glaubensfindung unterwerfen muss? Wissenschaftlich fundierte Behauptungen unterliegen – anders als religiöse Behauptungen – einem evolutorischen Selektionsprozess, der uns lehrt, welche dieser Behauptungen wahr und welche falsch sind. ]
Deshalb hat die Wissenschaft gerade in Zeiten von Donald Trump und Fake-News eine besondere Bedeutung.
Wissenschaftsvermittlung
In der Zeit meines Studiums erfolgte gerade der Übergang vom Rechenschieber zum Taschenrechner, gab es die Euphorie der Mondlandung, es gab die ersten Mikrocontroller. An eine Wissenschaftsskepsis in der heute erlebten Intensität kann ich mich nicht erinnern. Fast als eine Art Reaktion auf die Pseudowissenschaften erleben heute in Form von didaktisch begabten Wissenschaftserklärern wie eben Florian Aigner oder Florian Freistetter und das gesamte Team der Science Busters eine sehr interessante Gegenbewegung, in der die wahrlich komplexe Welt der Wissenschaft in einer vergnüglichen und damit für alle verträglichen Form vermittelt wird.
Wir bedanken und bei Florian Aigner für seine anschauliche Erklärung der Welt der Wissenschaft und freuen uns schon auf seinen nächsten Vortrag!
Florian Aigner
- 2005-2010 Physiker
- seit 2007 Wissenschaftsjournalist
- Wissenschaftserklärer
- Autor
- Karikaturist http://www.quantumtomato.com/
- Vorstandsmitglied GWUP (Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften)
- Vizepräsident der Gesellschaft für kritisches Denken Wien
- https://www.facebook.com/florian.aigner
- https://florianaigner.at
Bilder und Links
*) Wissenschaft und Fußball
Es stimmt, dass für das Erleben eines Fußballspiels Wissenschaftlichkeit eher hinderlich ist, doch kann sich keiner unserer Lebensbereiche der Neugierde der Wissenschaft entziehen. Nicht nur, dass Soziologen, Physiker, Mediziner uva. die Welt des Fußballs von außen betrachten, ja sogar Philosophen wie Elias Canetti gestalteten ihre Weltsicht aufgrund der Beobachtungen von Fußballspielen. Elias Canetti wohnte in Hacking unweit der Hütteldorfer Pfarrwiese und der „Pfarrwiesen-Roar“ stellte einen wichtigen Mosaikstein für sein Hauptwerk „Masse und Macht“ dar. Sogar die in den Fanblöcken stehenden Fans reflektieren über ihr Tun in wissenschaftlichen Arbeiten. So zum Beispiel entstand eine Bachelor-Arbeit „Der soziostrukturelle Wandel im Fußball“ verfasst von einem begeisterten Rapid-Anhänger.
Franz war pensionierter HTL Lehrer (TGM), Präsident von ClubComputer, Herausgeber der Clubzeitung PCNEWS und betreute unser Clubtelefon und Internet Support. Er war leidenschaftlicher Rapid Wien Fan. Er ist leider Anfang Jänner 2024 nach langer schwerer Krankheit verstorben.
Interessanter Vortrag.
Dass Wünschelrutengänger seit Jahrhunderten versuchen unterirdische Wasseradern aufzuspüren, ist ja allgemein bekannt. Diese esoterische Methode aber anhand des Versuchs der Selektion leerer Kartons „wissenschaftlich“ widerlegen zu wollen ist – genau wie so manch andere Versuche oder Bemerkungen der lustigen Science Busters – schlichtweg Unfug. Deren Auftritte sind ein wichtiger Beitrag zum Verständnis oft alltäglicher Vorgänge für die Allgemeinheit und zum Teil auch sehr unterhaltsam, aber: Nicht alles was hinkt, ist ein Vergleich…
Der Versuch wird mit dem Wünschelrutengeher abgesprochen. Der Proband muss selbst sagen, was genau er kann. Wenn der Proband Probleme bei der angewendeten Methode sieht, muss er den Test ja nicht ausführen. Was genau ist an einer von beiden Seiten akzeptierten Methode nicht wissenschaftlich?
Nach meiner Beobachtung ist das Aufspüren von Wasseradern mit der Wünschelrute der Homöopathie nicht unähnlich.
Viele Beschwerden bessern sich im Laufe der Zeit ganz von allein, unabhängig davon, was man verabreicht. Vor allem: ein einzelner Patient hat keine Vergleichsmöglichkeit! Es weiß also nicht, wie sich sein Befinden ohne Medikament entwickelt hätte. Am besten fragt man einen Arzt und nicht einen Homöopathen – obwohl auch Ärzte (und das nicht zu Unrecht) völlig wirkungslose Mittel verschreiben, damit sie das Vertrauen des hilfesuchenden Patienten erhalten können, weil die Alternative „da kann man eben nichts machen“ für Patienten frustrierend sein kann und sie sich dann eher Wunderheilern anvertrauen.
Beim Brunnengraben ist es so, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass jemand nebeneinander zwei 10 Meter tiefe Löcher gräbt, nur weil er beim ersten Loch nach 10 Metern noch nicht fündig wurde. Wenn er nämlich nach 10 Metern nicht fündig geworden ist, dann gräbt er eben noch zwei Meter weiter. Es ist also egal, wo die Wünschelrute ausschlägt, Wasser wird man überall finden. Und man wird wegen des großen Aufwands nur einmal graben. Mein Großvater hat den Hausbrunnen an einer Stelle gegraben, wo es praktisch war. Nach vier Metern war Wasser da. Oben am Berg musste man 15 Meter tief graben. Aber auch dort gab es Wasser, ganz ohne Wünschelrute.
Kein einzelner Brunnengräber weiß, wie tief er einige Meter weiter hätte graben müssen. Weil er den Versuch wegen des großen Aufwands niemals wiederholt. Am besten fragt man einen Geologen und nicht einen Wünschelrutengeher.