Nie wieder tanken!

Vorwort

Hier schreibt ein blutiger Laie, der noch keinen Kilometer mit einem Elektromobil zurückgelegt hat, nach ca. 10 Stunden Video-„Studium“ in YouTube-Kanälen, Wälzen von Datenblättern, Anstellen von Milchmädchenrechnungen. Einfach, um sich in diese Materie einzuarbeiten und gerne bereit, Korrekturen vorzunehmen. Niemandem soll ein solches Abenteuer eingeredet werden, es ist reine Theorie. Praxisberichte bitte bei Pauli nachlesen. Selbstverständlich werde ich auch darüber berichten, wie das spätere Fahren mit diesen Überlegungen zusammenpasst.

Ein Wechsel von einem Verbrenner zu einem Elektroauto ist von zwei einschneidenden Änderungen begleitet.

  • Geringere Reichweite
  • Längere Tank(=Lade)zeiten

Man könnte nun daraus den Schluss ziehen, dass ein Elektroauto eben doch kein Ersatz für einen Verbrenner ist, weil man oft und lange laden muss.

Sehen wir einmal von Berufsfahrern ab, die tatsächlich täglich lange Strecken zurücklegen müssen; die große Mehrheit der privaten PKWs ist doch im Nahverkehr unterwegs. Und genau dafür ist das Elektroauto bestens geeignet. Langstrecke kann man einem Elektroauto natürlich auch zutrauen, aber ihre Besonderheiten sollen in einem späteren Artikel behandelt werden.

Ist man mit einem Elektroauto unterwegs, sucht man Ladestellen und keine Tankstellen. Wenn man seine Fahrziele Revue passieren lässt, liegen die allermeisten in der unmittelbaren Umgebung. Beim Baumarkt, im Wienerwald, in der Lobau und beim Merkur. Im Laufe des 13-jähringen Lebens unserer Diesel-Kutsche führten uns nur zwei Fahrten ins benachbarte Deutschland. Alle anderen 230.000 km spulten wir in Niederösterreich und im nördlichen Burgenland ab. Und alle diese Ziele erreicht man mit Elektroautos mit einer Reichweite von 300-400 km (Herstellerangabe) für die Hin- und Rückfahrt ohne Nachladen.

Handhabungsunterschiede

Die unterschiedlichen Zeiten für das Tanken von Verbrennerfahrzeugen und das Laden von Elektrofahrzeugen und deren vergleichsweise geringe Reichweite haben ein ganz neues Handhabungsverhalten zur Folge. Man lädt den Akku nur ausnahmsweise während der Fahrten; Man lädt, wenn das Auto ohnehin steht, also in der Nacht oder während eines Einkaufs. Man startet also praktisch jede Fahrt mit einem voll geladenen Akku.

Laden im eigenen Haus

Unser derzeitiges Auto kommt ohne Nachtanken 1000 km weit. Und noch nie haben wir eine solche weite Fahrt auch unternommen. Die allermeisten unserer Fahrten haben Wien und das Wiener Umland als Ziel und alle diese Fahrten erfordern mit einem Elektroauto kein Nachladen. Man lädt zum jeweiligen Haushaltstarif von rund 0,20 € / kWh, also etwas billiger als bei irgendeiner öffentlichen Ladesäule. [Die Fialas bezahlen derzeit bei Wien Energie ca. 600 € pro Jahr (Energiekosten + Netzkosten + Steuern) für ca. 3.000 kWh, das ergibt diese 0,20 €/kWh.] Kann man Nachtstrom nutzen, sinkt der Tarif von 0,2 € / kWh auf 0,07€ / kWh.

Pendler

Andy Marek (Mr. Rapid), ein begeisterter Waldviertler, fuhr in 27 Jahren täglich die Strecke von Groß-Siegharts nach Hütteldorf und retour, das sind 240 km. Das ist mit einem Elektroauto mit etwa 300-400 km Reichweite leicht ohne Ladestopps zu schaffen, fährt man doch täglich mit voll geladener Batterie weg.

Reichweiten-Wettbewerb

Die Reichweite einer Batterieladung ist ein wichtiger Parameter beim Vergleich von Fahrzeugtypen. Mercedes berichtet von einem geplanten Elektroauto mit einer Reichweite von 1.000 km pro Ladung. Und es werden sicher viele diesen Luxus haben wollen. Doch muss man bedenken, dass die Batterie einen wesentlichen Einfluss auf die Ökobilanz des Fahrzeugs hat. Eine kleinere Batterie hat eine viel bessere CO2-Bilanz bei die Herstellung und reduziert auch das Gewicht des Fahrzeugs und damit den Verbrauch, da ja die Batterie – anders als beim Verbrenner, bei dem das Gewicht des Kraftstoffs mit der gefahrenen Strecke abnimmt (siehe Tankstrategie bei der Formel 1) – immer mitgeschleppt werden muss.

Fahrer eines Elektroautos wollen ja mehrheitlich einen Beitrag zur Ökobilanz leisten, und ein wichtiger Anteil ist die Änderung des Fahrverhaltens. Es sollte nicht das Ziel eines Elektroautos sein, es den Verbrennern gleich zu tun; es sollte tatsächlich eine neue Beziehung zur Mobilität und zur Umwelt begründen.

Jährliche Energiekosten

Öffentliches Wechselstrom-Laden

Lädt man öffentlich, liegt der Energiepreis (Wien Energie) bei 2,90 € / h bei einem 11 kW Ladepunkt, das ergibt 2,9 €/h / 11 kWh = 0,26 € / kWh. Der Preis liegt um 6 Cent (=30%) über dem Haushaltstarif. Bei Nutzung des Nachtstromtarifs (eine Wiener Spezialität von 22:00-06:00) sinkt der Preis auf 0,70 €/h / 11 kWh = 0,06 € / kWh.

Betrachten wir einen solchen Kurzstreckenfahrer, der den überwiegenden Teil aller Fahrten im Nahbereich und vergleichen einen Verbrenner und einem Elektroauto. Die Fahrleistung soll 15.000 km/Jahr sein.

Energiekosten Diesel

Bei einer Fahrleistung von 15.000 km / Jahr und einem Verbrauch von 6 l / 100 km kostet der Treibstoff für einen Diesel pro Jahr 15.000 km * 6 l / 100 km * 1 € / l = 900 €.

Energiekosten Elektro

Bei einer Fahrleistung von 15.000 km pro Jahr und einem Verbrauch des Elektroautos von 20 kWh/100 km kostet die Energie pro Jahr (bei Laden zu Hause) 3.000 kWh * 0,20 €/kWh = 600,- €.

Würde derselbe Fahrer nicht den Haushaltstarif sondern den Tarif an den Ladesäulen bezahlen, kostet ihn das auf der Basis des Bezugspreises der Wien Energie etwa 3.000 kWh * 0,26/kWh = 780,- €. Wenn er in der halben Zeit den in Wien sehr günstigen Nachtstrom nutzen kann, bezahlt er 1.500 kWh * 0,26 €/kWh +  1.500 kWh * 0,06 € / kWh = 465 €.

Der Betrieb eines Elektroautos ist – zumindest im Raum Wien – wenn man sein Elektromobil an einer 11 kW-Ladesäule in den Nachtstunden in einer Seitengasse auflädt – sehr günstig. Das Laden in der eigenen Garage ist bequem, aber nicht die billigste Version, außer man hat auch die Möglichkeit des Bezugs von billigem Nachtstrom.

Nachsatz: der Nachteil des öffentlichen Ladens ist, dass – mit Ausnahme von ionity – immer nach Zeit vergebührt wird, egal, ob die Batterie das Energieangebot nutzen kann oder nicht. Das ist beim Laden zu Hause anders. Denn dort wird immer nach Kilowattstunde verrechnet. Lädt die Batterie mit geringerer Leistung, weil sie schon fast voll ist, dann muss man auch weniger bezahlen. Daher ist der Ladevorgang im eigenen Haus noch etwas günstiger als das Ergebnis der obigen Milchmädchenrechnung.

Zusammenfassend kann man sagen, dass man mit einer Lademöglichkeit im eigenen Haus nur selten in die Verlegenheit kommt, öffentlich zu laden und der Betrieb eines Elektrofahrzeugs insgesamt günstiger ist und sich die Mehrkosten der Anschaffung – insbesondere bei Vielfahrern – durchaus durch die Einsparungen im Betrieb lohnen können.

Verbrauch, Kapazität und Reichweite

An einem Reichweitenvergleich kann man die Konsequenzen für den Alltag mit einem Elektrofahrzeug gut ablesen.

Ein bewährter Diesel-Kombi

Unser Familienauto ist ein Citroen C5 break. Es ist 13 Jahre alt. Er verbraucht zwischen 5,5 und 7 l Diesel. Mit dem 70 Liter-Tank fährt man also zwischen ca. 1.000 und 1.270 km weit.

Das E-Mobil in spe

Diese Rechnung kann man natürlich auch mit einem Elektromobil anstellen, hier im Beispiel mit meinem EMIS (Elektromobil in spe). Seine Netto-Batteriekapazität ist 58 kWh, der WLTP-Verbrauch beträgt laut Datenblatt 19,3-13,8 kWh/100 km. Das ergibt eine berechnete Reichweite von ca. 300 bis 420 km. Die Reichweite ist also grob ein Drittel des Diesel-Kombi.

Darf man aber den Angaben aus dem Datenblatt vertrauen, oder muss man Abstriche machen?

  • Viele Hersteller geben eine Brutto-Batteriekapazität und eine niedrigere Netto-Batteriekapazität an. Praktisch bedeuten diese beiden Zahlen, dass bei der Ladung immer nur bis zur Netto-Batteriekapazität aufgeladen wird. Ein Vollladen des Akku würde nämlich dessen Lebensdauer verringern und das ist eben, was das geringere Aufladen verhindert.
  • Als WLTP-Messverfahren (Worldwide harmonized Light vehicles Test Procedure) beschreibt einen Fahrzyklus, der die Realität des Alltags ganz gut annähert und jedenfalls eine Vergleichsmöglichkeit bietet. Das früher verwendete NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) ergibt zu optimistische Werte.
  • Es ist wichtig zu wissen, dass bei diesen Tests die Fahrbedingungen optimiert sind: Fahrstil, Fahrgeschwindigkeit, Fahrbahnverhältnisse, Reifenart und -druck sind optimal eingestellt, kein Mehrgewicht, keine zusätzlichen Verbraucher, Außentemperatur bei 20°, kein Wind.
  • In einem ADAC-Test vom 14.8.2020 wurden 20 Elektroautos getestet und die WLTP-Herstellerangabe mit einem eigenen ADAC-Ecotest verglichen.
    • 14-26 kWh/100 km Verbrauch nach Herstellerangaben nach WLTP
    • 15-28 kWh/100 km Verbrauch nach dem ADAC Ecotest

Daraus kann man ableiten – und das wird auch von kritischen Testern in YouTube-Videos gemacht – dass man etwa 10 % zum Datenblatt-Verbrauch dazuschlagen sollte. Für mein Elektromobil in spe ergibt das einen ADAC-Verbrauch von  Reichweite von 21,2-15,2 kWh/100 km und daher eine korrigierte Praxis-Reichweite von 273-381 km.

Wer will aber schon mit 1% Batterieladung an seinem Ziel ankommen? Nehmen wir an, dass noch 5% Reichweite am Ziel verfügbar sein sollen, ergibt das eine realistische Reichweite von 260-362 km.

VerbrauchReichweiteReserve 
kWh/100 kmkmkm 
19,3-13,8300-4200Herstellerangabe
21,2-15,2273-3810Korrektur gemäß ADAC-Ecotest
21,2-15,2259-36213-19Mit 5% Ladereserve

Die Reichweite für eine Hin- und Rückfahrt ohne Nachladen beträgt also ca. 130-180 km.

Und dabei sind hohe oder niedrige Außentemperaturen mit aktivierter Klimaanlage und gleichzeitig weniger leistungsfähiger Batterie noch gar nicht eingerechnet.

Rund um Wien

Wer sein Auto in der Garage laden kann, fährt praktisch immer mit vollgeladenem Akku los. Er erreicht damit mit den obigen Annahmen Amstetten (128), Grein (128), Roggenreith (118), Zwettl (135), Groß Siegharts (122), Znaim (97,5), Hodonín (113), Trnava (132), Györ (123), Szombathely (128), Hartberg (123), Mariazell (127), Scheibbs (123) – und er kommt ohne Ladestopp zurück, und er hätte noch etwa 15 Kilometer im „Tank“.

Ohne Nachladen hin und retour bis…

Also mir ist eine ladefreie Hin- und Rückfahrt ein bisschen zu riskant, und ich würde bei diesen Fahren ein kurzes „Sicherheits-„Nachladen einplanen.

ADAC-Test

Der ADAC hat im September 20 aktuelle Elektroautos einem Test unterzogen und ich habe die Zahlen einerseits gemittelt und dann auch versucht sie grafisch darzustellen.

Mittelwert über 20 ElektroautosHerstellerangabeADAC EcotestAbweichung
Preis46.000,- €
Batteriekapazität / Volladung mit56 kWh65 kWh+16 %
Verbrauch17,6 kWh / 100 km21,0 kWh / 100 km+ 20 %
Reichweite303 km266 km -12 %
Preis pro km Reichweite152,- €

Der Energieaufwand für das Vollladen eines Autoakku ist etwa um 16% größer als die Batteriekapazität, den Verbrauch muss man um 20% höher ansetzen und die Reichweite ist um 12% geringer als im Datenblatt angegeben.

Mein EMIS (Elektromobil in spe) in in diesem Vergleich nicht angeführt. Es ist aber interessant, das seine Kenndaten sehr gut mit dem hier dargestellten Mittelwert aus den 20 Testkandidaten übereinstimmen.

Zum Abschluss noch eine grafische Darstellung der Ergebnisse aller 20 Testkandidaten.

Es ist also nicht viel anders als bei den Verbrennern, der Verbrauch ist in der Praxis im Schnitt um 20% höher als die Herstellerangaben, im Einzelfall auch deutlich höher (Renault Zoe Intens) aber auch sehr nahe an der Herstellerangabe (VW e-Golf).

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