Fragwürdige Ergonomie des Wischens
Heutzutage beschäftigt die Wischtechnik die Massen. Aber dieses MMI ist eher durch die einfachere Herstellung und Programmierung für den Massenmarkt entstanden als durch das Bedürfnis einer praktischen Bedienbarkeit.
Aus der Fliegerei weiß man, dass der Mensch klar bedienbare Strukturen braucht wie Kippschalter – bei denen man an der Stellung erkennt, was sie tun, Knöpfe, die den eingestellten Wert erkennen lassen und Analoginstrumente, die ohne weitere Interpretation erkennen lassen, ob man sich im „grünen“ Bereich befindet.
Versuche mit Touchscreens wurden in der Fliegerei eingestellt, und man kann sich nur wundern, warum die KFZ-Entwicklung trotz solcher Erfahrungen Touch-Screen-Elemente in den Fahrzeugen verbaut.
Ein früher Kassettenrecorder hatte folgende Tasten:
- Schneller Rücklauf
- Schneller Vorlauf
- Vorwärts
- Aufnahme
- Pause
- Stop
und dazu brauchte man noch einen Lautstärkeregler und eventuell einen Bleistift zum Bewegen des Bandes. Gab es einen eingebauten Radio, dann auch noch eine Frequenzwahl.
Und wie praktisch das war. Man konnte das Gerät in allen Lebenslagen bedienen, auch im Dunkeln und ohne hinzuschauen; selbstverständlich konnte man auch Aufnahmen machen. Eine quasi optimale Ergonomie.
Meine ansonsten wenig technik-affinen Eltern waren begeisterte Anwender dieser Technologie, ein Zeichen dafür, dass ihre Anwendung im Wortsinn „begreifbar“ war. Dieses Haptische ist aber bei den Touchsceens verschwunden. Die eindeutige Zuordnung einer Funktion zu einem Bedienungselement ist völlig abhanden gekommen und die Folge ist dass die jeweilige Elterngeneration mit dieser Technik weniger vertraut ist als das in den früheren Generationen der Fall war.
Versuchen wir heute ein Gerät zu finden, das ebenso einfach wie damals ein Radiorecorder bedienbar ist, und das dieselben Funktionen hat. Wir stolpern dabei immer über das Smartphone. Es kann einerseits viel mehr als ein früher Radiorecorder, doch die Ergonomie der Wischfläche muss man sich irgendwie praktisch-reden, denn praktisch ist das nicht wirklich.
Ergonomie für Blinde
Und noch unpraktischer ist das alle für blinde Menschen. Jetzt können sie eh schon ein Buch nicht direkt lesen. Die Kassetten gibt es leider nicht mehr, und die heutige Tonträgerindustrie liefert nicht wirklich barrierefreie Produkte.
Die Ära der Kassettenrecorder bot eine Bedienung, das für Sehende und Blinde gleichermaßen geeignet war, ein seltener Glücksfall. [Es hat bis zur Alexa gedauert, bis wieder ein solches Gerät entwickelt wurde. ]
Doch die Hersteller von Blindenhilfsmitteln wissen um die besonderen Anforderungen an diese MMI zwischen blindem Benutzer und Maschine. Ohne, dass ihre Produkte dem breiten Publikum bekannt wären, erzeugen sie einen digitalen Radio-Recorder, der die früheren Kassettenrecoder in allen Belangen in den Schatten stellt.
Warum diese Geräte nicht auch den Massenmarkt erreichen, kann man fast nicht verstehen, das Potenzial dazu hätten sie.
Milestone 312 ACE
Der Milestone passt in eine Handfläche. Er hat mit nur fünf Bedienungselementen um eines weniger als der klassische Kassettenrecorder. Man hört über Kopfhörer oder Lautsprecher. Es gibt kein WLAN, kein Bluetooth, aber dafür gibt es eine ausreichende Betriebszeit des Akkus.
Die frühere Kassette ist eine SD-Karte geworden. Und auf dieser SD-Karte befindet sich ein ganz normales Dateienverzeichnis wie wir es vom PC kennen.
Der Leistungsumfang ist gegenüber dem Kassettenrecorder deutlich gewachsen und umfasst folgende Funktionen:
- Musikspieler für MP3, WAV, WMA, AAC, M4A, MP4 und M4V
- Text-To-Speech-Spieler für TXT und DOC
- Daisy-Player: Wiedergabe intelligenter Hörbücher mit Navigation, Suche und Lesezeichen
- EPUB- und AUDIBLE-kompatibel
- Uhr
- Wecker mit vielseitigen Einstellmöglichkeiten und Vibrationsalarm
- UKW-Radio mit 12 Senderspeicherplätzen (Zusatz)
- UKW-Sender zu Übertragung von Sound zum Autoradio oder zur Stereoanlage (Zusatz)
- Terminkalender (Zusatz)
- Recorder für Sprachnotizen und für Radiosendungen (auch mit externem Mikrofon)
- Farb- und Licherkennungsgerät (Zusatz)
- Direktes Kopieren von CDs auf den Milestone (ohne PC)
Mit den fünf Tasten navigiert man durch den Verzeichnisbaum, und wenn eine Audio-Datei gefunden wird, kann man sie auch abspielen. Das klassische Vor- oder Zurückspulen ist ebenso möglich wie eine Aufnahme vom Radio oder eine Sprachnotiz für den nächsten Einkauf.
Um also ein Hörbuch vorlesen zu lassen, kopiert man das Hörbuch auf eine SD-Karte, schiebt diese Karte in den Milestone, das ist alles.
Audio-Formate
Hörbücher werden im Allgemeinen als CD gekauft. Aber es gibt auch Download-Portale.
CD-Format
Das klassische Format für einen CD-Player teilt ein Hörbuch in so viele Spuren als es Kapitel gibt. Für längere Texte braucht man oft viele CDs. Die WAV-Dateien, die man bei der Übertragung aus einen PC erhält sind sehr groß und werden in der Regel in das platzsparende MP3-Format umgewandelt. Man nennt diesen Vorgang „Rippen“.
MP-3-Format
Viele Hörbücher werden aber auch im MP3-Format hergestellt. Die CD ist dann nicht eine Audio-CD sondern eine Daten-CD. Auf einer CD sind so viele MP3-Dateien als es Kapitel gibt. Es gibt aber auch Hörbücher, die aus nur einer MP3-Datei bestehen, zum Beispiel ist das bei Hörfilmen der Fall.
Diese MP3-Hörbücher erfordern, dass der CD-Player die Daten-CD auch interpretieren kann.
Daisy-Format
Das Daisy-Format ist eine Besonderheit für Hörbuchspezialisten.
Das klassische Hörbuch auf CD, egal ob WAV oder MP3 hat nur eine Navigationsebene. Man kann zwischen den verschiedenen Dateien, also zwischen Kapiteln springen.
Das „Daisy“-Format beschreibt strukturierte Hörbücher, die es erlauben zwischen Kapiteln in mehreren Ebenen zu navigieren und Lesezeichen zu setzten. Dieses Format ist in der heutigen Konsumelektronik praktisch nicht bekannt und ist hauptsächlich in der Blindenszene verbreitet.
Alle Audio-Dateien eines Daisy-Formats sind in einem Ordner enthalten und man könnte diese Dateien auch mit einem normalen Wiedergabegerät abspielen. Darüber hinaus enthält aber ein solcher Ordner eines Daisy-Hörbuchs auch Hinweise an das Daisy-Abspielgerät, in welcher strukturellen Reihenfolge diese Daisy-Dateien abgespielt werden sollen.
Daisy-Abspielgeräte erlauben dem Benutzer eine Navigation durch komplexe Bücher in beliebig verschachtelten Ebenen. Darüber hinaus kann man in diesen Büchern auch suchen oder Lesezeichen setzen.
EPUB-Format
Das E-Book-Format EPUB dient eigentlich zum strukturierten Lesen von Büchern. Aber es können auch Audio- oder Video-Dateien eingebettet sein und daher könnte dasselbe EPUB-Dokument sowohl gelesen als auch gehört werden – wenn eben Audio-Informationen enthalten sind.
Audible-Format
Das Audible-Dateiformat ist ein proprietäres Format von Amazon, bei dem man eine Audio-Datei nicht besitzt, sondern nur nutzt.
Text-To-Speech
Das ist nun kein Audio-Format, sondern eine Eigenschaft eines Endgerätes. Wenn ein Endgerät eine Textdatei vorlesen kann, benötigt es dazu ein Umwandlungsprogramm von Text in Sprache (=Text-To-Speech). PCs und Handies können das auf einem hohen Niveau.
Der Milestone kann auch Texte vorlesen, allerdings kann die Sprachqualität nicht mit anderen Text-To-Speech-Programmen mithalten.
Der Milestone ist ein perfekter Ersatz für den früheren Kassettenrecorder mit dem Vorteil der sehr kleinen Bauweise. Die gut fühlbaren und profilierten Tasten erlauben eine Bedienung ohne hinzuschauen. Der Milestone ist ein Begleiter fast so universell wie ein Handy und in der barrierefreien Bedienbarkeit einem Handy klar überlegen.
Die gute Systematik der Bedienerführung macht das Handbuch nach der Lernphase entbehrlich.
Der Preis von 400,- – 500 Euro ist bedingt durch die vergleichsweise geringe produzierte Stückzahl, weil es dafür eben nur einen beschränkten Käuferkreis gibt. Denn um das Gerät perfekt bedienen zu können, muss man etwas Einarbeitungszeit veranschlagen.
Franz war pensionierter HTL Lehrer (TGM), Präsident von ClubComputer, Herausgeber der Clubzeitung PCNEWS und betreute unser Clubtelefon und Internet Support. Er war leidenschaftlicher Rapid Wien Fan. Er ist leider Anfang Jänner 2024 nach langer schwerer Krankheit verstorben.
Neueste Kommentare