Die Grünen sind im europäischen Vergleich in Österreich stärker vertreten als in anderen Staaten. Sie entsenden Mandatarinnen in acht von neun Landtagen. Im Nationalrat, dem österreichischen Bundesparlament, stellen sie seit der letzten Wahl 26 von 183 Abgeordnete.

Eines ihrer wichtigsten Anliegen ist in Österreich die Förderung des öffentlichen Verkehrs. Während andere Fraktionen hier vorrangig auf technische und organisatorische Maßnahmen setzen – Strecken, Züge, Vertaktung, Klimatisierung, WLAN, … – haben sich die Grünen preiswerte und einfache Jahresfahrkarten zum Ziel gesetzt und mit diesem Anliegen ein politisches Alleinstellungsmerkmal erreicht.

In Wien – wo seit dem Jahr 2010 eine rot-grüne Koalition am Ruder ist – gelang es dem Grünen, den sozialdemokratischen Koalitionspartner für ein besonderes Leuchtturmprojekt zu gewinnen: Die Jahresnetzkarte für die Wiener Linien um 365 EUR. Dieses Projekt war höchst erfolgreich, führte erwartungsgemäß zu einem wesentlich erhöhten Absatz von Jahresnetzkarten und trägt damit maßgeblich zur Verkehrsverlagerung und zur Vermeidung von CO2 und Feinstaub bei. Ein Nebeneffekt war große internationale Aufmerksamkeit in Fachkreisen zum Vorteil des Landes.

Seit Jänner 2020 sind die Grünen auch in der österreichischen Bundesregierung vertreten. Hier arbeiten sie mit der „Neuen Volkspartei“ unter Sebastian Kurz zusammen und führen drei Ministerien.

Mit einem Klimaschutzticket
durch ganz Österreich, 
Foto: BMK / Cajetan Perwein

Für die ehemalige Global 2000-Österreich-Geschäftsführerin Leonore Gewessler wurde im Zuge der Regierungsbildung ein „Superministerium“ geschaffen, das die Agenden für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie vereint und verantwortet.

Bald nach Regierungsantritt gab Gewessler bekannt, dass das sogenannte 1-2-3 Ticket eines ihrer Hauptprojekte sein. Darunter wird eine Generalnetzkarte für eines, zwei Bundesländer oder sogar die ganze Republik verstanden, mit dem – eine absolute Novität in Österreich – der öffentliche Personenverkehr aller Verkehrsträger der betreffenden Bundesländer benutzt werden kann.

Dabei soll ein Bundesland – wie derzeit schon in Wien – um einen Euro pro Tag bereisbar sein, für zwei Euro täglich sollen es zwei Bundesländer sein und für drei Euro täglich können alle Verkehrsmittel im ganzen Staat benützt werden.

ÖVP-Politiker zeigen sich grundsätzlich kooperativ, weisen aber häufig auf Folgeprobleme hin. So etwa der niederösterreichische Verlehrslandesrat Ludwig Schleritzko. „Wer glaubt, mit günstigeren Tickets ist es getan, der irrt gewaltig. Niedrigere Preise erhöhen die Notwendigkeit für den Kapazitätsausbau im Schienenverkehr nur noch mehr“, ließ Schleritzko per Aussendung wissen. Und Gelder für die Subventionierung attraktiver Fahrpreissysteme fehlen – folgerichtig – bei den Investitionsbudgets für den Infrastrukturausbau.

Obwohl sich die Verkehrs- und Finanzierungsstruktur in Österreich etwas unübersichtlich darstellt, gelang es binnen kurzem, alle Entscheidungsträger auf das Unterfangen einzuschwören. Dabei darf erwähnt werden, dass die Österreichische Volkspartei (der Koalitionspartner der Grünen auf Bundesebene), in den meisten Bundesländern die Mehrheit im Landtag stellt – der grüne Verhandlungserfolg soll damit nicht kleingeredet werden, hatte aber doch einen achtbaren günstigen Fahrtwind.

Nach letzten Meldungen soll das Projekt bereits 2021 in Betrieb gehen. Noch nicht sicher scheint, ob alle drei Stufen – 1-2-3 – realisiert sein werden, oder nur Teile davon. Es war auch schon davon zu lesen, dass als erste Projektstufe allenfalls auch nur die bundesweit gültige Netzkarte zur Verfügung stehen werde. Die Modell für ein und zwei Bundesländer würden später folgen.

Gänzlich unproblematisch scheint das Unterfangen auch dem freundlichen Beobachter nicht: Während etwa Wien ein nahezu perfektes Nahverkehrssystem anbietet, besteht im Bundesland Burgenland kein Bahnnetz und das Busnetz zeigt sich – offen gesagt – weit unterhalb jeder Kritik. Auch im flächengrößten Bundesland Niederösterreich gibt es zwar in den Hauptbesiedlungszonen perfekte S-Bahnen und teils gute Bussysteme – dafür sind ganze Regionen völlig vom öffentlichen Verkehr abgehängt.

Übrigens: Fast schon erwartungsgemäß beurteilt Burgenlands SPÖ-Landes­haupt­mann Hans Peter Doskozil das Projekt aus lokaler Sicht kritisch und ortet „Burgen­länder krass benachteiligt“.

Dem Autor dieser Zeilen scheint es tatsächlich schwierig, Bewohnern von derart unterversorgten Gegenden zu erklären, dass sie für eine Netzkarte gleich viel zu bezahlen haben wie ein Bewohner Wiens oder jemand, der an einer bestens vertakteten Bahnstrecke wohnt und arbeitet.

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