IP, ein persönliches Datum?
Anwalt Marcus Hohenecker versendete im Auftrag seiner Mandantin Frau Eva Z. Zehntausende Abmahnschreiben mit einer Forderung über 190,- € an Betreiber von Internet-Seiten, weil Frau Z. einen „Gefühlsschaden“ bekommen haben soll, weil ihre IP – und das sei ein persönliches Datum – bei Google gelandet sei, weil alle diese Seiten Google-Fonts von der Google-Seite eigebettet haben sollen.
Der Fall ging durch die Medien (siehe Links) und es gab bereits erstinstanzliche Urteile gegen diese Vorgangsweise von Eva Z. Die Causa schaffte es bis zum Bürgeranwalt im ORF. Clubmitglieder finden einen Mitschnitt der Diskussion im cc|drive (siehe Links).
Da ich selbst auf allen meinen Webseiten ebenfalls Google-Fonts benutze, wäre ich ein potenzielles Angriffsziel von Frau Z., und daher interessierte mich die Argumentation des Gerichts. Mich hat die Behauptung von Frau Z., irritiert, die IP ihres PCs wäre ein persönliches Datum, das unerlaubterweise bei Google gespeichert wird, ein Umstand, der ihr „Unwohlsein“ verursachen würde.
Diese Behauptung, die IP Ihres PCs wäre ein persönliches Datum, wurde in keinem der Berichte angezweifelt, und daher soll das an dieser Stelle geschehen. Die Frage, die wir uns stellen wollen, ist, ob eine IP, die einem Endgerät zugewiesen worden ist, ein privates Datum ist, das so persönlich ist, dass man es zum Beispiel auf eine Visitenkarte drucken könnte. Außerdem wollen wir das Konzept der EInbettungen betrachten.
Personenbezogene Daten
Was personenbezogene Daten sind, erfährt man auf einer Seite der Europäischen Kommission: https://commission.europa.eu/law/law-topic/data-protection/reform/what-personal-data_de
Eine IP-Adresse ist da enthalten. Nach meiner Ansicht hat aber eine IP ein ganz andere Wertikeit als zum Beispiel das Geburtsdatum. Eine IP-Adresse ist so wie die Nummer eines Kästchenschlüssels, den man sich für die Dauer eines Aufenthalts in einem Bad ausgeborgt hat. Details siehe später.
Einbettungen
Jede moderne Webseite bettet externe Inhalte ein. Das kann sein Bild, Video, Audio, Werbung und eben auch Fonts, zum Beispiel von Google. Zum Beispiel kann ein WordPress-Thema eine Einbettung von Fonts enthalten, und man kann das als Anwender gar nicht ändern. Bei jedem Aufruf einer Webseite mit externen Einbettungen wird die aufrufende IP dem Hoster des externen Inhalts bekannt und automatisch in Protokolldateien für eventuelle spätere Recherchen gespeichert. Diese Speicherung führt jeder Webserver automatisch aus.
Man kann vieles auch am eigenen Server hosten, aber das entspricht nicht dem Konzept von Internet. Würde man zum Beispiel eine komplexe Resource wie es die Google-Fonts sind, am eigenen Server hosten, muss man auch für regelmäßige Aktualisierungen sorgen, etwas, das man sich erspart, wenn man sie von der Quelle holt.
Eigene Videos werden gerne auf YouTube gehostet. Das hat zwei Vorteile. Einerseits kann das Video nicht nur auf der eigenen Webseite, sondern auch auf YouTube gefunden werden. Anderseits muss der eigene Hoster keine großen Datenmengen verarbeiten. Technisch gesehen ist die Einbettung von YouTube viel einfach als bei einer Speicherung am eigenen Server. Auch bei YoutTube-Videos wandert die eigene IP in die Protokolldatei des anbietenden Servers, also zu Google.
Wenn sich jemand unwohl fühlt, wenn eine Seite solche Einbettungen enthält, müsste er konsequenter Weise alle solche Inhalte beanstanden und nicht nur die relativ leicht auffindbaren Google-Fonts. Bei Seiten, die auch Werbung zeigen, wird das besonders komplex, weil diese Inhalte sich dynamisch verändern. Wenn man solche Einbettungen als unzulässig anprangert, prangert man eigentlich das Konzept des Internets an sich an, und daher sollte man das Internet überhaupt meiden, weil das „Unwohlsein“ unerträglich groß werden kann.
Was ist eine IP-Adresse?
Eine IP-Adresse (im Folgenden immer kurz als IP benannt), ist eine Zahl, die jeder Kommunikationspartner im Internet benötigt, und die auf dem Internet Protokoll (IP) basiert. Es ist eine 32-Bit-Zahl, die aus Gründen der einfacheren Notation in vier, durch Punkte getrennte Dezimalzahlen (0…255) notiert wird. Mein PC hat derzeit die IP 77.117.141.253 – diese IP ist dynamisch und ändert sich von Zeit zu Zeit, der Server, der diese Internet-Seite anzeigt, hat die IP 194.50.115.163 – diese IP ist statisch und unveränderlich. Wer sich in die Details dieser Nummerierung vertiefen will, kann den sehr anschaulichen und bebilderten Artikel von Christian Zahler „Internet-Grundlagen“ lesen.
Telefonieren und Surfen
Kommunikation mit einem Telefon ist ähnlich zur Kommunikation im Internet, es gibt aber auch Unterschiede.
In beiden Fällen müssen die Verbindungssysteme eine „Teilnehmernummer“ beider Kommunikationspartner kennen. Im Telefonnetz sind das die beiden Rufnummern und im Internet sind es die IPs des Users und der von ihm aufgerufenen Ressource.
Jedes Endgerät, PC, Tablet oder Handy benötigt für die Kommunikation im Internet eine IP. Diese IP kann privat oder öffentlich, statisch oder dynamisch sein. Die allermeisten IPs von Endgeräten sind privat und daher nicht im Internet sichtbar. Für die Sichtbarkeit im Internet ist ein Router zuständig, eine Art Zampano für Internet-Verbindungen. Ein solcher Router besteht aus einer Vielzahl von Komponenten, die in den frühen Zeiten des Internets jede für sich ein eigener Computer waren. Heute sind Router in jedem Haushalt. Der Router ersetzt die private und im Internet nicht geroutete Adressen eines gesendeten Datenpakets durch eine dynamische aber ölffentliche Adresse und sorgt bei einem empfangenen Datenpaket für den umgekerten Vorgang.
Der Unterschied zwischen dem Telefonieren und dem Internet-Dialog ist, dass die Telefonnummer mit einer Person fest verbunden ist, und dass man daher die Telefonnummer auf eine Visitenkarte drucken kann, während genau das bei einer IP nicht möglich ist, weil die IP nicht statisch, sondern dynamisch ist und daher bei jeder Sitzung eine andere sein kann.
Definitionen privat – öffentlich, statisch – dynamisch
Privat ist ein Netz, wenn die IP des Endgeräts aus einem der folgenden Adressbereiche stammt:
- 10.*.*.*
- 172.16.*.*
- 192.168.*.*
Private IPs werden im Internet nicht geroutet und verlassen den Standort nicht. Damit Geräte aus einem privaten Netz im Internet kommunizieren können, bedarf es eines Routers, der die privaten Adressen auf eine öffentliche Adresse übersetzt. Praktisch alle unsere Endgeräte arbeiten mit privaten Adressen.
Öffentlich sind alle anderen Adressen. Ein Router im Endbenutzer-Bereich besitzt nur eine öffentliche Adresse, mit der er im Internet Datenpakete im Auftrag einer privaten IP versenden und empfangen kann. Der Router erhält diese öffentliche Adresse während der Initialisierung vom Internet-Provider, der öffentliche Adressen an die lokalen Netze seiner Kunden verleiht. DIese öffentliche IP ist nicht von Dauer und wird immer wieder geändert (zum Beispiel alle 24 Stunden).
Statisch nennt man die IP-Adresse eines Endgeräts, wenn sie einem Gerät fest zugeordnet ist. Eine solche feste Zuordnung besteht im Bereich von Internet-Knoten von Internet-Providern. www.ccc.at ist Internet-Provider und vermietet seine Internet-Ressourcen an ClubComputer. Die Server von ClubComputer haben feste IP-Adressen. Der Webserver, auf dem diese Seite gehostet wird, hat die IP 194.50.151.161. Man muss diese IP nicht wissen, weil das DNS-System die sprechenden Adressen im Hintergrund in die Zahlenschreibweise übersetzt. Endbenutzer, haben praktisch nie eine statische Adresse, sondern immer nur eine dynamische. Statische Adressen sind die Arbeitsgebiete von Internet-Providern.
Dynamisch nennt man eine IP-Adresse, wenn sie durch einen DHCP-Server einem Endgerät auf Anforderung zugewiesen wird. Endgeräte, die ihre IP derart beziehen, haben diese immer nur temporär. Wer sich in einem WLAN anmeldet, bekommt immer eine private, dynamische IP zugewiesen; der übersetzende Router steht in der Wohnung oder im Büro. Wer auf seinem Handy WLAN deaktiviert und die Internet-Verbindung über den Handy-Vertrag herstellt, bekommt ebenfalls eine private, dynamische IP zugewiesen. In diesem Fall steht der Router beim Provider.
Eine dynamische IP-Adresse für die Verwendung durch Endbenutzer ist wie ein Wanderpokal. Man bekommt sie für die Dauer der Benutzung geliehen, danach bekommt sie ein anderer. Man kann auch sagen, sie ist wie die Schlüsselnummer eines Kästchens im Bad. Man bekommt den Schlüssel für die Dauer der Badbenutzung, danach gibt man den Schlüssel wieder zurück. Eine dynamische IP-Adresse ist nur geliehen und wird nach der Benutzung wieder zurückgegeben.
Statisch und privat sind IPs in einem lokalen LAN/WLAN, wenn man Endgeräte mit festen Adressen versieht. Ein im Router eingebauter DHCP-Server teilt den Adressbereich für Endgeräte in der Regel in einen frei verfügbaren Bereich ein, in dem man feste IP-Adressen vergeben kann und in einen dynamischen Bereich, der allen Geräten zugewiesen wird, die eine solche Adresse anfordern.
In meinem LAN/WLAN haben Stand-PC, Drucker, Scanner und Fernseher feste IP-Adressen. Ein sich im WLAN anmeldendes Handy bekommt eine dynamische IP zugewiesen.
Mein PC hat also eine statische Adresse. Ja, aber es ist eine lokale Adresse, die im Internet unsichtbar ist. Diese private Adresse ist im Internet nicht sichtbar.
Statisch und öffentlich sind IPs von Servern, die im Internet einen Dienst anbieten. Diese Adressen werden von Internet-Providern verwaltet.
Es gibt auch den seltenen Fall, dass der PC eines Endbenutzers tatsächlich eine feste IP-Adresse hat.
In der Anfangszeit unserer Internet-Aktivitäten bekam ich von unserem damaligen Provider Franz Penz in der Alxingergasse (später Inzersdorferstraße) ein öffentliches Subnetz mit 8 statischen Internet-Adressen zugewiesen. Das sind netto 6 Endgeräte, weil die erste und die letzte Adresse nicht als Geräteadresse benutzt werden kann. Ich verknüpfte jede IP mit einem Server und verwendete diese Eigeninstallation im Unterricht am TGM. Wenn sich nun ein normaler PC in diesem Netz befindet, dann wird ihm eine dieser 6 Adressen zugeordnet, und dieser PC hat tatsächlich eine statische, öffentliche Internetadresse. Aber diese Zeiten sind längst Geschichte. Keine Firma würde eine solche Konfiguration in Betrieb nehmen. Alle PCs in einem Betrieb haben nur dynamische, private IPs.
Was weiß also Google von Frau Eva Z.? Google kennt eine IP, und Google muss sie kennen, sonst funktioniert die von Eva Z. besuchte Webseite nicht. Kann Google feststellen, wer diese IP-Adresse besitzt? Nein, Google kann – wie jeder andere auch – den Eigentümer des Netzes der IP feststellen, also den Provider und das Land, aus dem die Anforderung kommt. Das sind alles Daten, die zu statistischen Zwecken ausgewertet werden.
Wie könnte man einen Zusammenhang zwischen IP und dem Namen des Benutzers feststellen, der diese IP am 2023-11-20 um 23:13 verwendet hat? Das kann man nicht, weil eine IP einem Netz und nicht einer Person zugeordnet ist und man daher nur weiß, welches Netz die IP verwendet hat aber nicht, welche Person. Außerdem kann diese Frage nur der Provider beantworten, der diese IP zu diesem Zeiptunkt verliehen hat. Und diese Auskunft bekäme nur die Polizist aufgund eines Gerichtsbeschlusses.
Zusammenfassung
Die IP, mit der unsere Endgeräte im Internet kommunizieren, ist nur ein zeitlich begrenzt gültiges persönliches Datum und weil nur aufgrund dieser Zahl von einem Kenner dieser Zahl kein Zusammenhang zu sonstigen personenbezogenen Daten hergestellt werden kann.
Darüber hinaus kann diese IP keiner bestimmten Person zugeordnet werden, weil sie in einem LAN/WLAN dynamisch vergeben wird, weil diese IP in privater Umgebung meist mit mehreren Familienmitgliedern, in Firmen mit allen anderen Mitarbeitern, in öffentlichen WLANs mit jedermann geteilt wird.
Wenn man auch jemandem seine aktuelle öffentliche IP mitteilen würde (meine ist derzeit 77.117.141.253), wird diese Adresse jedenfalls beim nächsten Reboot des Routers und von Zeit zu Zeit durch den Provider selbst geändert, und man hat dann eine ganz andere IP.
Links
- 2023-01-19 Abmahnungen wegen Google-Fonts: WKStA ermittelt wegen Verdachts auf schweren Betrug (DerStandard)
- 2023-02-27 Google Fonts: Abmahnanwalt beklagt Angriffe auf seine Person (DerStandard)
- 2023-03-16 Weitere Vorwürfe gegen „Datenschutzanwalt“ in Causa Google Fonts (DerStandard)
- 2023-03-01 IT-Unternehmer im Fall Google-Schriftarten belastet „Datenschutzanwalt“ (DerStandard)
- 2023-03-03 Google Fonts – Musterprozess vor Landesgericht in Wien gestartet (DerStandard)
- 2023-05-12 Causa Google-Fonts: Rund 1.800 Abgemahnte zahlten in Summe 341.000 Euro (DerStandard)
- 2023-10-09 Google-Fonts-Abmahnung: Bezirksgericht sah missbräuchliches Verhalten (DerStandard)
- https://drive.ccc.at -> clubintern -> Kriminalität -> Bürgeranwalt-Nachgefragt_ Tausende Zahlungsaufforderungen wegen angeblicher Datenschutzverletzun.mp4
Franz war pensionierter HTL Lehrer (TGM), Präsident von ClubComputer, Herausgeber der Clubzeitung PCNEWS und betreute unser Clubtelefon und Internet Support. Er war leidenschaftlicher Rapid Wien Fan. Er ist leider Anfang Jänner 2024 nach langer schwerer Krankheit verstorben.
Ich bin nicht so ganz deiner Meinung: „Eine dynamische IP-Adresse ist nur geliehen und wird nach der Benutzung wieder zurückgegeben“. Wird die IP von einem DHCP Server bezogen, ist sie dynamisch, das stimmt; es hängt aber sehr von der Arbeitsweise des Servers ab, über wie lange Zeit ein Teilnehmer immer wieder dieselbe IP zugewiesen bekommt. Im Mobilfunk wechseln die zugewiesenen IPs mMn eher regelmäßig, ich (korrekt: mein Kabelmodem) als Teilnehmer bei UPC oder später Magenta bekam schon über viele Monate wenn nicht gar Jahre immer die selbe IP zugewiesen. Ich hatte das damals eine Weile beobachtet, weil es gelegentlich Netzprobleme (WAN) gab. Ob das heute noch so ist, beobachte ich nicht mehr. Beim Modemtausch hat sich die IP geändert.
Du hast also rein theoretisch und in manchen Fällen Recht mit dem Kästchen-Schlüssel-Vergleich, tatsächlich verhält es sich recht oft aber anders als von dir suggeriert – nämlich dass man bei jedem Badbesuch ein anderes Kästchen bekommt. So ist es eben oft nicht.
Insofern könnte man eine über längere Zeit gleichbleibend zugewiesene IP als einer statischen sehr ähnliche und sehr wohl als persönliches, also für eine Zeitspanne identifizierendes Datum betrachten.
Selbst im Falle tatsächlich häufig wechselnder dynamischer IPs müssten die Protokolle des DHCP Servers doch Auskunft geben können, welches Endgerät/Modem – identifiziert über seine (zumeist) unveränderliche MAC-Adresse – eine bestimmte IP zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen bekommen hat. Also zumeist wieder nix mit „nicht-persönlich“.
Nur in seltenen Fällen lässt sich die MAC-Adresse eines Endgerätes einstellen. Jedenfalls würde ich eine solche Einstellung 0815-Benutzern sowieso nicht ohne weiteres zutrauen, falls sie im konkreten Fall möglich wäre.
9.12. überarbeitet/präzisiert