Simmering vor 200 Jahren

Als gebürtiger Simmeringer hat mich dieser Bezirk mit seinem dörflichem Charakter immer schon sehr interessiert. Die Spaziergänge mit meinem Großvater beim Gaswerk, am Kanal und am Laaerberg waren prägend und boten gleichzeitig ein zu lösendes Rätsel, wie denn das alles entstand.

Bevor aber von Simmering die Rede sein wird, muss man sich ein Bild von Wien verschaffen.

Wien vor 200 Jahren

Vor 200 Jahren, genauer im Jahr 1829, wurde das „Franziszeische Kataster“ erstellt, eine sehr genaue Landkarte, die uns eine Vorstellung von der damaligen Welt gibt. Die Zahl der Einwohner auf dem heutigen Stadtgebiet wird mit etwa 300.000 geschätzt. In den Jahren bis 1914 sollte sich diese Zahl verachtfachen. Das ist ein Wachstum, das in Europa seinesgleichen sucht. Nicht von ungefähr war Wien um 1900 die fünftgrößte Stadt der Welt. Doch hier geht es um die Anfänge. Der Wiener Kongress ist vorbei, die Revolution ist noch nicht angesagt, es regiert Metternich mit einem totalitären Spitzelsystem und mit Zensur, Briefgeheimnis war noch unbekannt. Romantisierend wir diese Zeit von Ferdinand Waldmüller durchaus kritischer von Johann Nestroy beschrieben. Wir nennen diese Zeit „das Biedermeier“, der Bürger zieht sich ins Private zurück.

Wien, 1829, Franziszensisches Kataster

Die Donau beansprucht fast mehr Platz als die Stadt. Die Stadt ist durch zwei Mauern geschützt, obwohl der Schutz durch eine Mauer schon damals ein Anachronismus war. Die zweite Schutzmauer, der Linienwall (die „Linie“), hatte denselben Verlauf wie der heutige Gürtel und diente in diesen Jahren mehr als Steuergrenze denn als Verteidigungsbauwerk. Das Leben außerhalb der Linie war auch deutlich günstiger.

Man muss bedenken, dass die Stadt Wien ein Teil von Niederösterreich war, Die kommunalen Aufgaben deckte man durch die Einhebung einer Steuer für den Warenverkehr an so genannten Linienämtern am Linienwall.

Die Stadt konzentriert sich auf den durch den Linienwall geschützten Bereich des heutigen Gürtels. Man sieht auch, dass der heutige scharfe Knick des Gürtels im Bereich des heutigen Wildganshofs exakt dem Verlauf des Linienwalls folgt. In diesem Bereich im Süden reichte die Bebauung nicht bis an die Stadtmauer heran.

Außerhalb des heutigen Gürtels erkennt man vom Norden nach Süden die Orte Nussdorf, Döbling, Währing und Weinhaus (das heutige Neustift), Hernals, Neulerchenfeld und Ottakring, Reindorf, Fünfhaus, Sechshaus, Penzing und Hietzing.

Auch eine Bahnlinie sucht man vergebens. Die erste Dampflokomotive „Philadelphia“ kam nämlich erst 1838 aus den USA und war für die Gloggnitzer Bahn (Südbahn) gedacht.

Die Ziegelindustrie hat noch nicht Fahrt aufgenommen. Einen ersten Ziegelofen kann man an der heutigen Triesterstraße erkennen, möglicherweise war es der, den Alois Miesbach 1819 gepachtet hat und damit den Grundstein für den heutigen Wienerberger-Konzern gelegt hat.

Der Süden vor 200 Jahren

Der Süden war praktisch unbesiedelt. Eine Ortsbezeichnung „Favoriten“ gab es nicht. Lediglich die „Spinnerin am Kreuz“ war eine weithin sichtbare Orientierungshilfe in den Wiesen und Feldern am südlichen und nördlichen Abhang des Wienerbergs. Einzelne bewirtschaftete Flächen kann man als Ziegeleien deuten. Die Flurnamen „Favoritner Felder“ und „Marxer Felder“ deuten darauf hin, dass Bauern, die in gleichnamigen Stadtteilen innerhalb der Linie dort Felder bewirtschafteten. Flurnamen, die sich in heutigen Straßennamen wiederfinden sind

„Im Berhardthal“ = „Bernhardstalgasse“
„In den Goldeggen“ = „Goldeggasse“
„Unterer Geiselberg“ = „Geiselbergstraße“
„Im Schrankenberg“ = „Schrankenberggasse“
„In der mittleren Muhren“ = „Muhrengasse“
„Im unteren Absberg“ = „Absberggasse“
„Ober Geyereck“ =“Geiereckstraße“
„Vogen Thal“ = „Vogentalgasse“

Simmering war der einzige Vorort im Südosten. Ursprünglich war Im 18. Jahrhundert die Herrschaft Simmering im Besitz des Himmelpfortklosters doch mit Aufhebung des Ordens durch Josef II. ging diese Herrschaft auf den Religionsfonds über. 1850 bekam das Dorf einen Bürgermeister.

Simmeringer Hauptstraße, Geiselbergstraße, Grillgasse, Hasenleitengasse kann man als Wege erkennen. Im weiteren Verlauf der Simmeringer Hauptstraße kann man die heutige Florian-Hedorfer-Straße erkennen und danach das Schloss Neugebäude.

Die Flurnamen deuten darauf hin, dass weite Teile des Laaerbergs von Simmering verwaltet wurden. Etwa hieß das Gebiet des heutigen Laaerwaldes „Simmeringer Waldel“ (braune Fläche links unten im folgenden Bild).

Der Süden von Wien

Der Wiener Neustädter Kanal erstreckte sich entlang der heutigen Bahnlinie S7 und der Straße „Am Kanal“. Der Wiener Neustädter Kanal verlief noch bis zu seinem Zielhafen an der Vorderen Zollamtsstraße am Donaukanal. Der obere Hafen was am Gebiet des späteren Aspangbahnhofs. Zwischen den beiden Hafenanlagen verlief der Kanal entlang der heutigen Bahntrasse über einige Schleußenanlagen. In der Zeit dieser Landkarte hatte man mit dem Kanal ein Verbindung nach Triest im Sinn, doch die Industrialisierung im 19. Jahrhundert machte den Kanal zu einem Transportweg für das Baugewerbe. Man brachte Holz und Kohle für die späteren Ziegelöfen aus den Bergen zu den Ziegeleien im Süden von Wien und transportiere die Ziegel Richtung Wien.

Ravelin

Im Bereich der heutigen Simmeringer Haide sieht man im obigen Bild ein dreieckiges Objekt, ein Ravelin.

Die Stadtmauer besteht aus geraden Abschnitten zwischen Basteien. Vor diesen Basteien sind tiefe Gräben, deren Böschung man mit dem französischen Wort für „Böschung“ als „Escarpe“ bezeichnet hat. Die „Konterescarpe“ war die der Mauer abgewandte Böschung. Die Neigungswinkel dieser Böschung waren ganz genau berechnet, damit es keinen unsinsichtigen toten Winkel geben konnte.

Ein Ravelin ist ein Verteidigungsbauwerk, das der Stadtbefestigung vorgelagert ist. Die langen geraden Mauerteile sind leichter angreifbar und daher wurden zwischen den Basteien dreieckige Wehrplattformen, die Ravelins, vorgelagert, die man nur über Brückenkonstruktionen oder Leitern erreichen konnte. Im Belagerungsfall war die Besatzung des Ravelins ganz auf sich allein gestellt, denn die Brücken und Leitern wurden eingezogen.

Wien 1770, Struktur der Verteidigungsanlagen: B…Bastei, R…Ravelin

Im 18. Jahrhundert – wie im obigen Bild – waren die Ravelins noch vorhanden, doch später, 1829 sind sie bereits verschwunden.

An dieser Stelle in Simmering ergibt ein solches Bauwerk keinen Sinn. Es diente dort zur Ausbildung der Soldaten. Die ebene Fläche diente auch nach Schleifung des Ravelins als Truppenübeungsplatz.

Simmering vor 200 Jahren

Das Dorf Simmering war bereits in den heutigen Strukturen erkennbar. Was gab es?
Der alte Ortskern war das Gebiet um die Pfarre Alt-Simmering. Man erkennt einen Ortsteich auf der Fläche des heutigen Simmeringer Platzes.

Zentrum von Simmering war die Dorfgasse. Der Donau-Altarm am Abhang der Dorfgasse bot wahrscheinlich einen gewissen Schutz.

Die Hauslanden

In der Verlängerung der heutigen Krausegasse erkennt man ein parzelliertes Gebiet, „Die Hauslanden“. Es handelte sich um Viehweiden, die auf die Bewohner von Simmering aufgeteilt waren. Die späteren Straßen in diesem Gebiet hießen „Landengasse 1 bis 8“ und wurden 1954 umbenannt. https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Landengasse_(11). Heute wird dieses Gebiet durch die Lautenschlägergasse, Ravelinstraße und Lindenbauergasse begrenzt.

Simmering

Die Simmeringer Hauptstraße war vergleichsweise weniger verbaut.

Neu-Simmering

Die bedeutendste Quergasse war die Hauffgasse/Kopalgasse, der Kern des späteren Neu-Simmering. Möglicherweise war der Grund, dass sich am Ende der Hauffgasse eine Verladestelle des Wiener-Nneustädter Kanals befand. Am Ende der Hauffgasse befindet sich auch heute noch ein Bildstock des Johann Nepomuk, dem Schutzpatron der Schiffer und Flößer (und viele anderer). Im Volksmund nannte man diese Bildstöcke auch „Hansl am Weg“.

Johannes-Nepomuk-Marterl in Simmering, Am Kanal/Hauffgasse/Geiselbergstraße, bekannt als „Johannesstöckl“

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