Paul Hörbiger singt „Jünger Werd‘ Ma Nimmer“. Das ist zwar eine Binsenweisheit, doch enthält das Lied auch die Botschaft, dass man trotz allem nicht nachlassen und sich seinen Humor bewahren soll.
Für uns, die sich viel Computern beschäftigen, kann dieses Älterwerden bedeuten, dass wir langsam oder oft auch von einem Tag zum anderen die Bildschirminhalte nicht mehr lesen können und dann von unseren Informationsquellen abgeschnitten sind. In früheren Jahren wäre das tatsächlich ein unüberwindliches Problem gewesen. Die Lösung waren früher Hörbücher – die sind es auch heute noch – aber ihnen fehlt die Tagesaktualität. Heut ist der Zugang zum Internet, zu Radio und Fernsehen gefragt.
Johann ist Mitglied bei ClubComputer und ist seit einiger Zeit altersbedingt erblindet. Menschen, die früh erblinden, haben ein größeres Potenzial, mit dieser Einschränkung umzugehen, weil sie in den wichtigen Lernphasen den Umgang mit den akustischen Informationen und das Lesen der Blindenschrift erlernen, etwas, das im Alter schon sehr schwierig bis unmöglich ist.
Zu diesen sehr spezifischen Fähigkeiten blinder Menschen gehört der Umgang mit der Braille-Schrift, etwas, das im Alter nur sehr schwer zu erlernen ist. Wenn man allerdings beobachtet, wie schnell sich Blinde mit Braille-Zeilen orientieren, ist man sehr beeindruckt.
Hier sollen nur die akustischen Hilfen für „Einsteiger“ vorgestellt werden.
Blinde Computer-User
Wolfgang und Marcel sind zwei blinde Computer-Benutzer, die sich unserem Verein angeschlossen haben. Der Kontakt zu ihnen macht es möglich, dass hier über die informatische Grundausstattung für blinde Menschen berichtet werden kann. Nicht in allen Details, aber für einen Einstieg sollte es genügen.
Heute gibt es sowohl am Handy als auch am PC Hilfsprogramme, die es auch Blinden ermöglichen, an unserer modernen Informationswelt teilzunehmen. Man nennt diese Programme „ScreenReader“. Sie ändern nichts an bestehenden Apps sondern lesen den Bildschirminhalt vor. Alles dauert zwar ein bisschen länger, die Blinden „sehen“ aber überraschend viel.
Meine Frau Silvia ist seit zwei Jahren begeisterte Benutzerin eines Android-Handys mit Sprachausgabe. Sie kontrolliert alle meine Postings, macht mich auf Fehler aufmerksam und erzählt mir über den Inhalt von Bildern, die sie eigentlich gar nicht gesehen haben kann. Möglich wird das durch eine immer besser werdende Bilderkennung in den Sozialen Medien. Die Bildinhalte werden über die Sprachausgabe beschrieben, also zum Beispiel „Wald und Fluss“ oder „Straßenkreuzung mit Ampel“. Auch Personen werden über die Gesichtserkennung sehr oft gut erkannt. Emoticons werden ebenfalls sprachlich interpretiert.
Hindernisse
Alle Programme, sogar Grafikprogramme – könnten mit Hilfe der Screenreader auch von Blinden bedient werden – wenn nur die Damen und Herren Programmierer bei ihrer Arbeit eine einfache Regel einhalten würden. Die Regel lautet, dass jedes non-verbale Objekt mit einem Hinweistext versehen werden muss; in HTML ist das die obligatorische Verwendung des title-Tag, bei Bildern ist ein Alternativ-Text anzugeben. Da die ProgrammiererInnen das aber manchmal nicht beachten, haben nicht alle Programme und Apps, die es Handy oder am PC gibt, das Attribut „barrierefrei“.
Mobiltelefon
Das Handy hat in den letzten Jahren durch seine Allgegenwart den PC an Bedeutung überholt; nicht was die klassischen PC-Anwendungen betrifft, aber die ständige Verfügbarkeit des Handys macht es zu einem unverzichtbaren Begleiter, ganz besonders für blinde Menschen.
Es gibt zwei Familien von Mobiltelefonen
- Android (Google und viele andere Anbieter)
- iPhone (Apple)
Jede dieser Mobiltelefonfamilien hat Sprachausgabe vorinstalliert. Man muss keine App herunterladen, die Screenreader sind bereits im Betriebssystem integriert, man muss sie nur aktivieren:
- iPhone: VoiceOver
- Android: TalkBack
Das iPhone war in der Entwicklung der Sprachausgabe dem Android-System etwas voraus und daher wählten viele Blinde das Apple-System, und sie machen einen nur unerheblichen Teil der Benutzer aus. Heute gibt es aber zwischen den beiden Systemen keine gravierenden Unterschiede mehr.
Dieser Text bezieht sich auf Android, einerseits weil es das mehr verbreitete System ist und weil wir aus technik-ideologischen Gründen dieses System bei ClubComputer immer schon favorisiert haben. (Viele Anbieter durch freie Verfügbarkeit des Betriebssystems, offenere Programmierschnittstellen, keine proprietären Hürden des Herstellers, Gewinne für alle, nicht nur für Apple, preiswerte Endgeräte erhältlich).
Aktivierung
Bei Android aktiviert man die Sprachbedienung so: Einstellungen -> Bedienungshilfen -> Bedienungshilfen -> TalkBack -> Ein. Es kann sein, dass bei anderen Fabrikaten der Ort im Menübaum ein anderer ist In diesem Fall die Einstellungen öffnen und in der Suche „Talkback“ eingeben.
Es geht auch viel einfacher, allerdings hängt das mit der Handy-Marke zusammen. Bei meinem Huawei-Handy genügt es, drei Sekunden die Lautstärketaste zu drücken, um Talkback ein- oder auszuschalten. Es muss dabei die ganze Taste gedrückt werden.
Im folgenden Bild sieht man die Seite von TalkBack in den Einstellungen, wo sich auch eine kurze Bedienungsanleitung befindet.
Wenn Talkback aktiviert ist. ändert sich das Verhalten des Handys im Bezug auf das Wischen und Tippen. Man kann über alle Objekte des Bildschirms wischen und alles wird ausgesprochen aber nicht ausgeführt. Findet man auf diese Weise ein Element, das man betätigen möchte, wie zum Beispiel „Zurück“ oder „Startseite“, tippt man zwei Mal auf den Bildschirm, egal wohin, und der Befehl wird ausgeführt. Gescrollt wird mit zwei Fingern.
Bei der Eingabe von Texten über die virtuelle Tastatur sucht man den nächsten Buchstaben, wenn er gesprochen wird, hebt man den Finger vom Bildschirm ab, und der Buchstabe wird eingefügt.
Der Rest ist Übung. Man muss schon einige Zeit veranschlagen, bis man das Handy so bedienen kann wie Wolfgang, Marcel oder Silvia. Das wesentliche Problem ist die fehlende Übersicht. Was die Sehenden auf einen Blick erfassen, muss der Blinde in vielen Versuchen als eine unsichtbare Landkarte memorieren und erst wenn das geschafft ist,
Darüber hinaus gibt es auch noch eine Reihe spezieller Wisch-Gesten, die raschen Zugang zu bestimmten Funktionen ermöglichen. Welche das sind, findet man in den Einstellungen zu TalkBack. Das ist dann „TalkBack für Fortgeschrittene“.
Spezialisten wissen noch viel mehr darüber. Beispielsweise ist es möglich, am Handy über Bluetooth eine Tastatur und sogar eine Braille-Zeile anzuschließen. Über besondere Tastenkürzel kann man vieles direkter ansprechen als das mit den Wischbewegungen der Fall ist.
PC
In früheren Jahren bedeutete es einen großen Aufwand, einen PC blindentauglich zu machen, denn der zugehörige ScreenReader konnte recht teuer sein. Seit 2005 gibt es für Microsoft Windows das kostenlose Programm NVDA (Non Visual Desktop Access), das jeden PC in einen sprechenden PC verwandelt.
Der Lernaufwand besteht darin, dass alles, was man bisher mit der Maus ausgeführt hat, man über Tastenkürzel von Windows 10 erledigen muss. Wir haben dazu ein Verzeichnis von Tastenkürzel für Windows 10 in verschiedenen Formaten angefertigt.
Dazu kommen dann auch die Tastenkürzel, die zur Bedienung der Sprachausgaben benötigt werden.
- Homepage von NVDA
- Benutzerhandbuch englisch deutsch
Fernwartung
Wenn der PC normal startet, ist die Oberfläche für Blinde über NVDA gut bedienbar. Es gibt aber Bereiche, die nicht so gut erschlossen sind, wie zum Beispiel Browserinhalte, weil diese stark von der Qualität der Programmierung abhängen. Es kann daher vorkommen, dass der blinde User trotz aller Bedienungshilfen sehende Hilfe benötigt. Dazu sind Fernwartungsprogramme wie zum Beispiel der TeamViewer gut geeignet. Jeder, der auf seinem PC die kostenlose Version von TeamViewer installiert hat, kann anderen bei Bedienungsproblemen behilflich sein, ohne dafür den eigenen Arbeitsplatz verlassen zu müssen.
Netzwerke
Gerade weil die Assistenzsysteme für barrierefreien Zugang zu Informationen für eine Minderheit sind, muss diese Minderheit besonders gute Netzwerke entwickeln, um sich bei Problemen gegenseitig helfen zu können.
Beispielsweise gibt es die Mailing-Liste droid-access für blinde Nutzer von Android. Anmeldung: http://lists.dekadent.net/mailman/listinfo/droid-access
Unser Mitglied Wolfgang informiert über die Mailingliste Donaukurier über Wissenswertes über das Verkehrsgeschehen in Wien und Umgebung aus der Sicht von Blinden aber auch über viele andere Themen. Anmeldung: http://www.ml4free.de/mailman/listinfo/donaukurier
Franz war pensionierter HTL Lehrer (TGM), Präsident von ClubComputer, Herausgeber der Clubzeitung PCNEWS und betreute unser Clubtelefon und Internet Support. Er war leidenschaftlicher Rapid Wien Fan. Er ist leider Anfang Jänner 2024 nach langer schwerer Krankheit verstorben.
Danke für den Artikel.
„…muss der Blinde in vielen Versuchen als eine unsichtbare Landkarte memorieren…“
Ich bin immer beeindruckt zu sehen, wie Blinde damit arbeiten können und welche Leistung es ist, sich jedes Layout einzuprägen.
Auf meinem Samsung S9 mit Android 10 nennt sich das Bildschirmleseprogramm übrigens „Voice Assistant“.
Liebe Grüße, Thomas